Sie befinden sich hier:

SVP verlangt Kündigung der EMRK – mit einer falschen Behauptung

In der Junisession wird die SVP-Fraktion im Ständerat eine Motion zur Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) einreichen. Die Grundrechte seien durch die Bundesverfassung umfassend geschützt. Diese Behauptung ist leider falsch.

Anlass zur Kündigungsmotion der SVP ist die Gutheissung der Klage der KlimaSeniorinnen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Aus der Mitteilung der Partei (Link): «(…) Die SVP-Fraktion fordert, dass der Bundesrat die EMRK auf den nächstmöglichen Termin kündigt. Der freiheitliche, direktdemokratische Schweizer Rechtsstaat ist vor den institutionellen Übergriffen des EGMR zu schützen. Die SVP-Fraktion hat einstimmig eine entsprechende Motion beschlossen, die sie in der Sommersession im Ständerat einreicht. Die von der EMRK gewährleisteten Grundrechte sind bereits durch die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft umfassend geschützt.»

Der letzte Satz ist falsch, und das wird man in der Auseinandersetzung über diese Motion geltend machen müssen.

Das Bundesgericht kann uns nur vor der Anwendung grundrechtswidriger Gesetzesbestimmungen schützen, solange in der Schweiz die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) gilt. Nach Kündigung der EMRK muss das Bundesgericht auch grundrechtswidrige Gesetzesnormen anwenden, da es in der Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit über Bundesgesetze gibt. Artikel 190 der Bundesverfassung ermöglicht nur den Schutz von Normen, die auch durch einen Staatsvertrag geschützt sind. Die SVP hat es selbst zu verantworten, dass ihre Behauptung falsch ist. Denn sie gehörte immer zu den Kräften, die die Einführung einer Verfassungsgerichtsbarkeit ablehnten. Dass sie ihre Kündigungsmotion durch einen Vorstoss zur Einführung einer zumindest artiellen Verfassungsgerichtsbarkeit zum Schutz der Grundrechte der BV ergänzt, ist deshalb unwahrscheinlich – aber wir liessen uns gern überraschen.

Zum Urteil des EGMR über die Klage der KlimaSeniorinnen:

  • Julia Hänni: “Was sagt das Urteil kurz und konkret?” (Link)
  • PolitReflex: “Nur die EMRK schützt in der Schweiz vor menschenrechtswidrigen Gesetzen” (Link)
  • PolitReflex: “Schweizerische Bundesverfassung: Doppelt legitimiert, aber schutzlos” (Link)
  • PolitReflex: “Richterinnen und Richter: Klärende Diskussion über ihre Aufgaben nötig” (Link)
Picture of Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

Beitrag teilen

PDF erstellen oder ausdrucken

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfleder sind markiert *

Kommentar absenden

Ähnliche Artikel

Medienförderung: Die Chefs und Chefinnen der Grossverlage müssen sich ins Getümmel stürzen.

Befürworterinnen und Befürworter der Medienförderung weisen zu Recht darauf hin, dass die Medienförderung ihren Hauptnutzen bei den neuen, innovativen, regionalen Medien erbrächte. Aber das genügt nicht, um eine Chance auf Annahme der Vorlage zu wahren. Sie hat einen höchst umstrittenen anderen Teil: Die Erweiterung der Beiträge an die Grossverlage.

Weiterlesen »

Bundesrat Bersets Frankreich-Flug: Was ernster genommen werden müsste.

Spricht man mit Piloten, ist die Auskunft eindeutig: Bundesrat Berset muss elementare Unterlassungen begangen haben. Er hat den Flug nicht seriös vorbereitet und war, einmal im französischen Luftraum, durch die Flugsicherung nicht kontaktierbar, nicht beeinflussbar. Nur dies erklärt, dass ihn die französische Luftwaffe zur Landung veranlassen musste.

Weiterlesen »