Das Wahljahr 2023 ist auch das erste der beiden Jahre, in denen die Schweiz dem UNO-Sicherheitsrat angehört. Es ist absehbar, dass das Bemühen des Bundesrates und der UNO-Botschafterin, gemeinsam mit andern Mitgliedern dieses Gremiums dem Niedergang der kollektiven Sicherheit entgegenzuwirken, auch Wahlkampfthemen hervorbringen wird.
In den Vordergrund des Wahlkampfs kann jedoch durchaus die Sozialpolitik rücken. Der Anstieg der Wohnnebenkosten, der Krankenkassenprämien und anderer Preise wird den Anteil der Individuen und Familien steigen lassen, die nach anerkannten Kriterien arm werden, sowie derer, die sich subjektiv für verarmt halten, und derer, die sich vor Verarmung fürchten. Dann kann eintreten, was wir schon bei anderen gesellschaftlichen Entwicklungen erfahren haben: Es gibt immer mehr Menschen, die zwar selbst nicht von Armut betroffen sind, aber Personen kennen und mit ihnen mitfühlen, die verarmt sind. Dadurch mag die Solidarität wachsen, aber auch die Bereitschaft, als Wählerin und Wähler das Thema Armut ernst zu nehmen.
Aber der Wahlkampf wird auch um Klima, Europa, Sicherheitspolitik, Neutralität, Migration gehen.
Die Ersatzwahlen für Bundesrätin Simonetta Sommaruga und Bundesrat Ueli Maurer führten zu einer kurzlebigen „Konkordanz“-Euphorie. Bereits die Departementsverteilung warf die Bundespolitik wieder in Diskordanz zurück. Der Wahlkampf wird die Energien der extremen Parteiflügel entfesseln.
Die FDP muss sich einmal mehr mit der Versuchung auseinandersetzen, mit der SVP zusammenzugehen. Die sachpolitischen Voraussetzungen, dies glaubwürdig tun zu können, sind aber schlecht, und die fortschreitende Radikalisierung der SVP verschlechtert sie weiter.
Der Blick auf die globalen Herausforderungen und Risiken, insbesondere wachsende Grosskriegsgefahr, Klimawandel, Machtstreben autoritärer Staaten, Ausbreitung von Hungersnot, Migration relativiert die Bedeutung der schweizerischen Innenpolitik und lässt erkennen, wie sehr die Schweiz von der europäischen und globalen Entwicklung abhängig ist.
Abschliessend vier Lesetipps:
– Nicola Forster und Andreas Schwab: „Schweiz und Europa. Eine politische Analyse.“ (Herder Verlag)
– Luzi Bernet: „Das Schweiz-Dilemma. 30 Jahre Europapolitik.“ (Hier und Jetzt Verlag)
– Matthias Oesch und David Campi: „Der Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union. Voraussetzungen, Verfahren, Ausnahmen, Staatsleitung, Volksrechte.“ (EIZ Publishing)
– Bruno Lezzi: „Von Feld zu Feld. Ein Leben zwischen Armee, Journalismus und Politik.“ (Edition Königstuhl)
PolitReflex wünscht seinen Leserinnen freudevolle und stärkende Festtage und dann Mut und Tatkraft im Neuen Jahr.
Ausgewählte PolitReflex-Texte von Dezember 2022:
- „Europapolitik der Schweiz: Vom Schlagabtausch zum Beurteilen von Erfahrungen“ (Link)
- „Anti-EU-Ersatzstrategien: Kommt die Ernüchterung schneller als erwartet?“ (Link)
- „Deutschland muss!“ (Link)
- „Der neu konstituierte Bundesrat löst eine kurzlebige ‚Konkordanz‘-Euphorie aus“ (Link)
- „Der rein ländliche Bundesrat vor schwieriger Überzeugungsarbeit bei der Landbevölkerung“ (Link)
- „Bundesrat Rösti muss mit Bauern rechnen, die die Klimaveränderung ernst nehmen“ (Link)
- „Zur Entwicklung der Beziehungen zwischen FDP und SVP“ (Link)
- „Wohin fährt der rechte Flügel der SVP?“ (Link)
- „Die SVP braucht die ‚Zauberformel‘, um ihren Extremisten freien Lauf lassen zu können“ (Link)