Die Vorbilder “unserer Politiker” hiessen “nicht mehr Wilhelm Tell, Gertrud Stauffacher oder Henri Guisan”, schreibt Christoph Mörgeli in seiner “Weltwoche”-Kolumne vom 29.8.24, “sondern Ursula von der Leyen, Robert Habeck und Annalena Baerbock”.
Es sind die Gegnerinnen und Gegner einer realistischen Verteidigungspolitik, die Henry Guisan aus den Augen verloren. Guisan hatte für den Fall eines Angriffs der Schweiz durch Hitlers Wehrmacht und SS eine gemeinsame Verteidigung mit Frankreich vorbereitet. Als Frankreich kapitulierte, zogen General und Bundesrat die Konsequenz: Rückzug des Gros der Armee ins Alpenréduit. Die Einsicht war, dass die Armee bei einem Versuch, die Schweiz ab Landesgrenze zu verteidigen, vernichtet worden wäre. Das Alpenréduit sollte im Angriffsfall einen Teil des Staatsgebiets als schweizerisch behaupten – ein staatspolitisch und völkerrechtlich sinnvolles Ziel. Wie es sich ausgewirkt hätte, dass ein grosser Teil der Zivilbevölkerung ausserhalb des Réduits feindlicher Besetzung, feindlichen Vergeltungsmassnahmen ausgesetzt gewesen wäre, blieb zum Glück eine hypothetische Frage.
Die Notwendigkeit des Zusammenschlusses gegen einen Aggressor ist seit Guisan noch zwingender geworden, insbesondere durch die heutigen Möglichkeiten der Waffeneinwirkung auf grosse Distanz, aus Stützpunkten weit ausserhalb der Landesgrenzen, und der Cyberkriegführung. Eindrücklich waren kürzlich die Fotos eines Kampfflugzeugs, das auf einer Autobahn landete. Aber weshalb sollte ein Angreifer, der die Pisten unserer Militärflugplätze zerstörte, nicht auch Starts und Landungen auf Autobahnen verunmöglichen, wenn kein Partner der Schweiz beisteht, solchen Fernbeschuss zu erkennen und zu verhindern?
Wer im Verteidigungsfall keine Unterstützung der Schweizer Armee durch die Nato will, und wer diese nicht vorbereiten, nicht schulen lassen will, ist gefordert, ein Réduitkonzept des 21. Jahrhunderts vorzulegen. Dies zu verweigern, wäre eine weitere Abkehr von Guisan. Aber die Entwicklung der Waffensysteme seit dem Zweiten Weltkrieg wirkt sich auch nachteilig auf eine Réduitstrategie aus.
Und noch zu Tell und Stauffacher: Schillers Tell ist ein Epos des Zusammenfindens, des Zusammenstehens, des gemeinsamen Vorgehens. Tell selbst überwindet die Haltung des bei Isolationisten beliebten Ausspruchs, der Starke sei am mächtigsten allein. Er bringt sich in die Gemeinschaft ein. Angesichts der heutigen Herausforderungen ist das “Tell”-Epos des Zusammenstehens ein Aufruf zu Solidarität und Zusammenarbeit unter den europäischen Demokratien. Mögen die rechtsradikalen Gesinnungsfreunde der “Weltwoche”-Publizisten, die in mehreren europäischen Staaten an die Schwelle zur Regierungsmacht drängen, diese nicht verhindern!
Mehr dazu:
“Die Schweiz muss sich mit der Nato auf den Verteidigungsfall vorbereiten” (Link)
“Neutralitätsinitiative – wäre die Réduitstrategie wieder möglich?” (Link)
“Verteidigungsvorbereitung mit dem Ausland – von General Guisan bis heute” (Link)
“Erfahrung des Ukrainekriegs – für Militärpolitik des Kleinstaats wichtig” (Link)
“Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter Dich!” (Link)