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Wer sich freiwillig nicht impfen lässt, gehört dadurch weder einer Klasse noch einer Ethnie an.

Eine Klassengesellschaft sei das, oder sogar wie die Judenverfolgung - solche Vergleiche hört und liest man jetzt, wenn Leute, die sich freiwillig nicht impfen lassen, Konsequenzen dieses Entscheids tragen müssen. Das verkennt oder leugnet die entscheidenden Merkmale einer Klassengesellschaft und der Verfolgung einer Ethnie.

Wer von Klassengesellschaft spricht, sollte sich im Klaren sein, was eine Klasse ist: Eine Gesellschaftsschicht, der man angehört, sei es, dass man in sie hinein geboren oder durch sein Schicksal in sie ab- oder aufgestiegen ist – oft ohne eigenes Dazutun,  ohne besonderes Geschick oder Ungeschick. Die Zugehörigkeit zu einer sozialen Unterschicht ist selten oder nie das Ergebnis freier Wahl, und deshalb nicht mit den Konsequenzen eines Entscheids wie der Impfverweigerung vergleichbar. Impfgegner mögen noch so heftige Kämpfer sein, aber sie sind keine Klassenkämpfer.

Noch abwegiger ist der Vergleich mit der Judenverfolgung oder der Verfolgung anderer Ethnien. Als Jüdin oder Jude geboren worden zu sein, war und ist Schicksal. Die Verbrechen der Nazis und Faschisten an den jüdischen Mitmenschen waren auch deshalb von unvergleichlicher Abscheulichkeit, weil sie sich gegen ein vorgegebenes Identitätsmerkmal richteten. Es ging auch nicht primär um Religion, denn die Konversion zum Christentum schützte nicht vor Verfolgung und Vernichtung. Wenn man sich dies einmal bewusst macht, kann jede und jeder selbst beurteilen, was vom Vergleich der frei gewählten Rolle eines Impfverweigerers mit einem verfolgten Juden zu halten ist.

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Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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