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Wenn die Geltung der Bundesverfassung als „formaljuristisch“ bezeichnet wird

Die Bundesverfassung (BV) ist schwach geschützt. Obwohl durch Volks- und Ständemehr doppelt legitimiert, kann sie durch einfache Gesetzgebung materiell abgeändert werden, ohne dass dies im Verfassungstext sichtbar wird. Selbst einige linke Ständeräte haben soeben wieder eine Verfassungsgerichtsbarkeit abgelehnt. Dazu passt, wenn es jetzt als "formaljuristisch" bezeichnet wird, dass die BV keine Vorwirkung von Volksinitiativen zulässt.

„Formaljuristisch“ assoziiert „überspitzten Formalismus“: „Überspitzter Formalismus liegt unter anderem dann vor, wenn eine Behörde formelle Vorschriften mit übertriebener Schärfe handhabt“, definiert das Bundesgericht (Link). Die im Fall der Anti-F-35-Initiative ausgebrochene heftige Auseinandersetzung um die Vorwirkung zeigt aber, dass es nicht um Formelles, sondern um Substanzielles geht – auch aus Sicht derer, die es richtig finden, dass die Verfassung, die keine Vorwirkung zulässt, respektiert wurde.

Wenn nun ein Teil des politischen Spektrums in seinem Vertrauen in die Demokratie erschüttert ist, sind für die Einführung einer Vorwirkung von Volksinitiativen Vorstösse zu unternehmen, und ist, wenn diese scheitern, eine Volksinitiative zu lancieren. Es wird interessant sein, wie die Befürworter:innen der Vorwirkung die Revisionsnorm ausgestalten werden. Denn sie werden dann auf die Zwiespältigkeit einer Vorwirkung aufmerksam.

Nicht überraschen würde, wenn sich auch die SVP hinter einen solchen Vorstoss stellen würde, denn sie könnte stark von Vorwirkung profitieren, zum Beispiel wenn sie eine Volksinitiative zur Verstetigung der europapolitischen Blockade lanciert.

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Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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