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„Landesverrat“, „Gauner“, „Kurpfuscher“: Vorbereitung auf Abstimmungskampf um Stabilisierungsverträge

Einschüchterung! Blocher und seine Mitstreiter machen klar, dass sie den Kampf gegen die Bilateralen-Stabilisierungsverträge mit maximaler Härte führen werden. Wer sich für diese Verträge einsetzen will, wird nicht nur wissen müssen, worum es geht, und dies verständlich machen können, sondern Einstecken und Austeilen beherrschen. Wichtig wird aber auch die schwer vorhersehbare Entwicklung der Lage in Europa und der Welt sein.

Nationalrat Thomas Matter, Mitglied der nationalen Parteileitung der SVP, bezeichnet die Verhandlungsführung mit der EU als landesverräterisch. Die SVP prüfe Strafklagen gegen die Verantwortlichen wegen Landesverrats (Link). Man mag dies, juristisch betrachtet, lächerlich finden. Wichtiger ist, dass die SVP keine Rücksicht mehr darauf nimmt, dass die Mehrheit des Bundesrates, in deren Auftrag die Diplomatinnen und Diplomaten verhandeln, demokratisch legitimiert ist: Aus einer Mehrheit in den eidgenössischen Wahlen hervorgegangen. Sie nimmt auch keine Rücksicht mehr darauf, dass ihre beiden Bundesräte, der Wirtschafts- und Forschungsminister und der Chef des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation, die Abstimmungsvorlage mitvertreten müssten. Drohung, ihnen  Landesverrat vorzuwerfen, auch an sie? Oder Ankündigung, dass man versuchen wird sie zur Verletzung des Kollegialprinzips zu zwingen?

Christoph Blocher bezeichnete im „Nebelspalter“ die Verantwortlichen für die schweizerische Europapolitik als „Gauner“. Markus Somm, Chefredaktor dieses Blattes, berichtet dies in seiner wöchentlichen Kolumne in der „SonntagsZeitung“ (11.2.24). Und Somm macht klar, dass die Vertragsgegner mit dem Anspruch auftreten werden, das Volk zu vertreten: „Wir, die Stimmbürger unseres Landes…“ (die Stimmbürgerinnen sind vielleicht mitgemeint). WIR! Wer nicht bei uns ist, gehört nicht zum Volk.

Und weiter: „Was uns diese Chefbeamten wie durchtriebene Kurpfuscher als «nebensächlichen Eingriff» (warum nicht «chirurgisch»?) verkaufen, ist in Tat und Wahrheit ein Massaker an der direkten Demokratie. Faktisch schaffen wir Stimmbürger für wesentliche Bereiche der schweizerischen Gesetzgebung unser Stimmrecht ab.“

Zu solcher Einschüchterungspolemik passt, dass Magdalena Martullo-Blocher verkündet, Trumps Wahl zum US-Präsidenten wäre gut für die Schweiz (Link). Dann soll es wohl auch gut für sie sein, wenn Trump das demokratische Europa militärisch sich selbst überlässt: Gut für die Schweiz, obwohl diese für den Verteidigungsfall mit Nato-Unterstützung rechnet (Link). Blocherismus und Trumpismus sind so eng verwandt, dass wir uns auch darauf einstellen müssen, dass die Blocheristen mit der Wahrheit ebenso umgehen werden wie Trump.

Was geben wir zurück, wenn uns in einem Saal Solches entgegengeschmettert wird, worauf Gegnerinnen und Gegner der Verträge ihre Begeisterung johlen? Obwohl sich die schweizerische „Konkordanz“-Politik schon seit Jahrzehnten laufend verhärtet – wir müssen neu politischen Nahkampf trainieren: Einstecken und Austeilen! Und auch die Basis darauf vorbereiten: Mitglieder von Parteien, Verbänden, NGO’s. „Arena-Tauglichkeit“ gewinnt eine erweiterte Bedeutung: „Arena“ wird nicht mehr nur die gleichnamige Sendung sein, sondern die ganze Schweiz. Wir müssen Vorkämpferinnen und Vorkämpfer identifizieren, die in diesem Sinne arenatauglich sind. Und dies können nicht nur Politikerinnen und Politiker sein, sondern auch Frauen und Männer, die auf andern Gebieten Glaubwürdigkeit und Ausstrahlung gewonnen haben: Im Unternehmen, im Sport, in Musik, Literatur, Theater, in der Forschung, wo auch immer.

Auswirken wird sich, wie sich Europa und die Welt bis zur Abstimmung entwickeln. Die europäischen Demokratien, auch die Schweiz, können immer mehr auf Zusammenarbeit und Zusammenstehen angewiesen sein. Dadurch kann der blocheristische Isolationismus aus der Zeit fallen. Aber möglich bleibt auch, dass aufsteigende Nationalisten die europäische Integration immer mehr schwächen und sich auf Putin einlassen, sodass sich in der Schweiz der Eindruck ausbreitet, mit dieser EU sei nicht mehr zu rechnen, und deshalb brauche und wolle man sich mit ihr gar nicht mehr zu verständigen.

Siehe auch:

„Die Grundhaltung gegenüber Europa und seinen Zukunftsperspektiven überprüfen“ (Link)

Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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