Sie befinden sich hier:

Schweiz-EU: Plaudereien im Wartesaal

Welche Zukunft für die bilateralen Beziehungen Schweiz-EU? Vor den eidgenössischen Wahlen vom 20. Oktober 2019 geht nichts mehr. Vor der Zuteilung des Ressorts Schweiz innerhalb der neuen EU-Kommission auch nicht. Und vielleicht auch vor der Regelung der Beziehung der EU zu Grossbritannien nicht. Also: Zeit für Plaudereien im Wartesaal.

Im Wartesaal hat soeben Micheline Calmy-Rey, Schweizer Aussenministerin 2003-2011, das Wort ergriffen (Link zum “SonntagsBlick”-Interview).

Auszug:

“Der Bundesrat hat die umstrittenen Punkte klar umrissen: den Lohnschutz, die staatlichen Beihilfen und die Unionsbürgerrichtlinie. Jetzt sollte die Landesregierung klarmachen: Wir müssen nachverhandeln.”

Auf den Einwand, das wolle der Bundesrat nicht, sondern Präzisierungen: “Noch nicht. Das kommt noch!”

Nicht ganz so eindeutig äussert sie sich zum Verhalten des Vertrags- und Verhandlungspartners:

“Brüssel sagt klar: Es gibt diesen Vertrag oder keinen.
MCR: So sicher bin ich nicht, das ist Verhandlungstaktik. Wenn es uns gelingt, die Arbeitsbedingungen und Löhne in der Schweiz zu schützen und einen geänderten Streitmechanismus zu schaffen, kommt ein Abkommen zustande. Daran haben alle ein Interesse. Auf der anderen Seite kann die Schweiz mehr leisten: zum Beispiel mit einer Erhöhung der Kohäsionsmilliarde.

Warum sollte die EU diesem Vorschlag zu­stimmen?
MCR: Sicher kann man nie sein. Druckversuche sind bei Verhandlungen normal. Und die EU ist nun einmal stärker. Für die Union hat derzeit der Brexit Priorität. Weder Grossbritannien noch die Schweiz können mit Zugeständnissen rechnen. Wir müssen Geduld haben. Ein gutes Resultat ist besser als ein schnelles.”

Und schliesslich der Wermutstropfen ins Glas unserer EU-Gegner:

Angenommen, es findet sich keine Lösung beim Rahmenvertrag: Wäre ein Beitritt für Sie in diesem Fall denkbar?
MCR: “Eine mögliche Option, ja. Genauso wie der EWR oder ein Freihandelsabkommen, wie es die Kanadier abgeschlossen haben. Die Europapolitik ist ständig neu zu beurteilen.”

*

Wird der Moment kommen, da der Bundesrat der EU ein Präzisierungs- oder Nachverhandlungsbegehren stellt? Oder wird er lieber das tote Männlein spielen, bis sich die EU bei ihm meldet?

Irgendwann nächstes Jahr werden die Plaudereien im Wartesaal wohl ein Ende haben und der Zug abfahren. Bis dahin sei allen die Freude am Austauschen von Spekulationen noch gegönnt. Und wen das nicht befriedigt, der mag sehen, wo verlässliche Informationen und kompetente Beurteilungen zu finden sind. Zum Beispiel hier: Schweizerische Gesellschaft für Aussenpolitik.

Picture of Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

Beitrag teilen

PDF erstellen oder ausdrucken

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfleder sind markiert *

Kommentar absenden

Ähnliche Artikel

Wählt die Bundesversammlung allmächtige Chefinnen und Chefs der Departemente?

Auch in der Schweiz werden eigentlich die wichtigsten Politiken durch die Gesamtregierung gestaltet und entschieden. Dennoch läuft jetzt die Diskussion über die bevorstehenden Bundesratswahlen, wie wenn die Bundesversammlung allmächtige Departementschefinnen und -chefs wählen würde. Nur schon die Möglichkeit, dass eine Kandidatin oder ein Kandidat ein bestimmtes Departement übernähme, kann so zum Ausschlussgrund werden.

Weiterlesen »

Schweizer Handelspolitik zwischen Ego-Trip und SVP-Projekt

SVP-Wirtschaftsminister Guy Parmelin: “Ich werde kein Abkommen gegen die Bauern abschliessen” (SonntagsZeitung 26.1.20,S. 2). ICH? War Trump ansteckend? Wenn es EINEN Bereich gibt, in dem WIR – als Kollegialregierung – angesagt ist, dann die Aussenhandelspolitik. Aber unser Regierungssystem, das paradox als “Konkordanz” bezeichnet wird, gewährt die Freiheit zu Ego-Trip und zu bundesrätlichen Parteiprojekten.

Weiterlesen »

Bilaterale: Nun versuchen die VertragsgegnerInnen, den Tierschutz zu mobilisieren

Aus eigenen Kräften hätten Christoph Blocher und die Seinen 1992 das 50,3-%-Nein gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum nicht geschafft – nur dank der Nein-Parole der Grünen Partei. Auch wenn sie jetzt gegen eine neue vertragliche Sicherung der bilateralen Beziehungen kämpfen, bemühen sich die GegnerInnen um Unterstützung von ausserhalb der SVP und ihres engeren Umfelds.

Weiterlesen »