Nicht jede Lausbüberei, die der Selbstbelustigung dient, verdient die Bezeichnung als Provokation. Von Provokation sollte nur die Rede sein, wenn anzunehmen ist, dass damit ein Ziel verfolgt wird und strategische oder taktische Überlegungen zu dessen Erreichung zugrunde liegen.
„Provokation (v. lat. provocare ‚hervorrufen‘, ‚herausfordern‘) bezeichnet das gezielte Hervorrufen eines Verhaltens oder einer Reaktion bei anderen Personen. Hierbei agiert der Provokateur bewusst manipulativ oder unbewusst in einer Weise, dass die provozierte Person oder Personengruppe ein tendenziell erwünschtes Verhalten zeigt.“ (Wikipedia)
Ist ein Verhalten zu beurteilen, das als provokativ wahrgenommen wird, stellen sich folgende Fragen:
- Welches Ziel oder welche Ziele können mit der Provokation verfolgt werden?
- Welche Wirkung wird angestrebt?
- Welche Wirkung ist zu erwarten?
- Kann die Wirkung auch Dritte treffen, die nichts mit dem Konflikt zwischen dem Provokateur und dem Provozierten zu tun hatten?
Oft oder meist will der Provokateur weder Ziel noch angestrebte Wirkung offenlegen, sondern die Provokation als spontane Ausübung seiner Freiheitsrechte darstellen.
Eine intelligente Provokation will den Provozierten dazu verleiten, unüberlegt, im falschen Moment, am falschen Ort, unvorbereitet, mit ungeeigneten Mitteln, affektgetrieben, „kopflos“ eine Auseinandersetzung aufzunehmen. Sie kann einem Wirkungsplan über mehrere, möglichst alle vorhersehbaren Phasen folgen: Reaktion des Provozierten, Gegenschlag des Provokateurs, Reaktion des Provozierten auf diesen Gegenschlag, Reaktionen Dritter wie etwa Behörden, Organisationen, Medien, öffentliche Meinung, Nachbarstaaten.
Die Berufung auf Freiheitsrechte wird dann problematisch, wenn zu befürchten oder klar vorhersehbar ist, dass die Eskalation, zu der die Provokation führt, auch unschuldigen Dritten Schaden zufügt oder sie in erhebliche Gefahr bringt. Muss die Bevölkerung zum Beispiel wachsende Terrorgefahr hinnehmen, oder die Möglichkeit, infolge einer Provokation, die gegen ein anderes Land gerichtet wurde, in den Kriegsdienst eingezogen zu werden, oder Arbeitsstellen zu verlieren, weil die Provokation dazu führt, dass die Provozierten die Wirtschaft des Landes boykottieren, aus dem sie kommt? Ist es eine zulässige Grundrechtseinschränkung, Provokationen mit klar vorhersehbaren Nachteilen für unbeteiligte Dritte zu verhindern? Eine Frage, mit der sich derzeit Schweden und Dänemark nach den Koranverbrennungen befassen müssen.
Mit ins Bild gehören Provokationen unter falscher Flagge oder durch „nützliche Idioten“, oder auch Provokationen, die unbeabsichtigt einer Drittmacht dienen. Offensichtlich ist, dass Russland von den Koranverbrennungen in Schweden profitiert, wenn die Türkei deswegen den Beitritt Schwedens zur NATO blockiert.
Abschliessend ein innenpolitischer Aspekt. Wie reagieren wir auf populistische Provokationen? Auch diese Provokateure verfolgen ja das Ziel, durch empörte Reaktionen Aufmerksamkeit zu bekommen, ihre Anhänger bei Laune zu halten und neue zu gewinnen. Deshalb wird verständlicherweise immer wieder von Reaktionen abgeraten. Dennoch ist rascher und klarer Widerspruch oft nötig und wichtig. Eine generelle taktische Unterordnung solchen Widerspruchs unter das Gebot, Provokateuren keine Resonanz zu geben. ist abzulehnen.
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SRF-Interview von Corinna Heinzmann mit dem Islamwissenschafter Amir Dziri von der Universität Freiburg (Schweiz). Link. Auszug:
«Weshalb lassen sich einige Muslime immer wieder aufs Neue von solchen Koranverbrennungen provozieren?
Immerhin: Die Reaktionen in der muslimischen Welt sind heute sicher viel gedämpfter als bei den ersten Koranverbrennungen 2005. Inzwischen geht es bei den Koranverbrennungen um gezielte Provokationen und eine politische Instrumentalisierung durch bestimmte politische Kräfte in Europa und anderswo.
Dieses Spiel von Provokationen ist also berechenbarer geworden, entsprechend sind die Reaktionen vielerorts weniger scharf als damals. In jenen Ländern, wo die Reaktionen nach wie vor sehr heftig sind – wie in Iran oder Irak – spielen dafür auch innenpolitische Gründe eine wichtige Rolle. Dortige islamistische Akteure wollen daraus einen Gewinn schlagen.
Wieso lassen sich Musliminnen und Muslime überhaupt noch von Koranverbrennungen provozieren?
In der Tat denken viele Musliminnen und Muslime darüber nach, wie sie darauf reagieren sollen. Manche befürchten aber, dass die Provokationen noch stärker werden, wenn sie nichts tun. Deshalb ist Nicht-Reagieren auch nicht wirklich ein für sie gangbarer Weg. Das macht es schwierig, einen geeigneten Umgang mit solchen Aktionen zu finden.
Wie würde ein solcher denn aussehen?
Es ist wichtig, einerseits die Hintergründe der Provokationen transparent zu machen und andererseits zu Respekt gegenüber Religionen aufzurufen. Die komplexe politische Situation hinter den Koranverbrennungen sollte aufgezeigt werden, damit man den immer neuen Provokationen nicht mehr länger auf den Leim geht. Auf der anderen Seite muss auch aufgezeigt werden, dass sich durch die Koranverbrennungen viele Musliminnen und Muslime tief verletzt fühlen und sich dies in eine jahrzehntelange Erniedrigung der islamischen Welt einreiht. Das sollte in einer zivilen Form – aber durchaus mit einem gewissen Nachdruck geschehen.»