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Kalter Krieg. Jetzt wäre der Moment für vertrauensbildende Massnahmen.

Leider muss in der ersten Zeit nach dem Amtsantritt Präsident Bidens mit einer Zuspitzung von Konflikten gerechnet werden. Neue US-Präsidenten werden Härtetests ausgesetzt. Zwar wäre jetzt der Moment für vertrauensbildende Massnahmen, die auch im längerfristigen Interesse von Russland und China lägen. Westeuropa hätte Gehör dafür. Aber Wille und Fähigkeit zu Vertrauensbildung gehören leider kaum zu den Kompetenzen von Putin und Xi.

Falls Putin, Xi und Andere Präsident Biden und seine Administration als weicheren Rivalen als Trump einschätzen sollten, dürften sie sich täuschen. Die Administration Obama, deren Vizepräsident er war, hat militärische Mittel eingesetzt, und Biden hat jetzt eine Crew gebildet, die Härtetests bestehen kann. Dazu gehört etwa Victoria Nuland, 2013-2017 stellvertretende Aussenministerin, die am Sturz der russlandfreundlichen Regierung der Ukraine und an der Umorientierung des Landes zum Westen mitwirkte. Putin, Xi, aber auch die iranischen Hardliner, der saudische Kronprinz, Israels Präsident Netanyahu, der nordkoreanische Diktator und Andere könnten sich deshalb Provokationen der neuen US-Regierung sparen. Werden sie? Hoffen darf man, auch auf Unwahrscheinliches.

Europa, das im 20. Jahrhundert zweimal durch Grosskriege zerstört wurde, ist in hohem Masse an der Verminderung von Kriegsrisiken interessiert. Der unten einkopierte Auszug aus einem am 20. Januar 2021 in der „Frankfurter Allgemeinen“ erschienenen Artikel des stellvertretenden Fraktionschefs der CDU/CSU im deutschen Bundestag legt davon Zeugnis ab. Und wie die NZZ am 20.1.21 berichtet, ergibt eine breit angelegte Umfrage, dass viele EU-Bürgerinnen und Bürger eine Art bewaffnete Neutralität Westeuropas befürworten würden (Daniel Steinvorth: „Trump hat den Ruf Amerikas in Europa ruiniert“, NZZ 20.1.21, Link).

Wenn sich in den kommenden Monaten die Spannungen verschärfen, kann man nur hoffen, dass Präsident Biden und seine Administration intelligent und nervenstark reagieren, und dass sie EU-Europa ernst nehmen, im Gegensatz zu Trump. Dann lässt sich vielleicht in einer nächsten Phase ein Ausgang aus dem Kalten Krieg finden.

*

„Auf Russland zugehen“

Unter diesem Titel schreibt der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU im deutschen Bundestag, Johann David Wadephul, in der „Frankfurter Allgemeinen“ vom 20.1.21 (Auszug):

„Die Bezie­hun­gen zwischen Europa und Russ­land sind auf einem neuer­li­chen Tief­punkt ange­langt. Sank­tio­nen und die offene Frage des russi­schen Außen­mi­nis­ters Lawrow, ob man mit der EU über­haupt noch etwas anfan­gen könne, beschrei­ben die Szene­rie hinrei­chend. Das jüngs­te Vorge­hen gegen den russi­schen Oppo­si­ti­ons­po­li­ti­ker Nawalnyj, aber­mals ein ekla­tan­ter Verstoß gegen die Regeln des Euro­pa­ra­tes, unter­streicht das.

Dennoch: Sprach­lo­sig­keit ist weder im euro­päi­schen noch im russi­schen Inter­es­se. Es gibt Optio­nen – und eine prin­zi­pi­el­le Frage, die zu entschei­den ist. Deutsch­land kann eine Rolle spie­len, diese aufzu­zei­gen und zu nutzen.

Dabei ist für uns Euro­pä­er unver­rück­bar, dass die Anne­xi­on der Krim und die fort­wäh­ren­de Führung eines asym­me­tri­schen Krie­ges in der Ostukrai­ne nicht nur völker­rechts­wid­rig sind – dieses Vorge­hen stellt die gesam­te Frie­dens- und Verstän­di­gungs­ord­nung der Nach­kriegs­zeit funda­men­tal in Frage. (…)

Auf der ande­ren Seite hat der Westen die Erwei­te­rung von EU und Nato zwar rich­ti­ger­wei­se als freie Entschei­dung souve­rä­ner Staa­ten bezie­hungs­wei­se Völker verstan­den, russi­sche Sorgen über eine heran­na­hen­de „Bedro­hung“ mindes­tens unter­schätzt. Deutsch­land hat mit seinem Wider­spruch zu einem Nato-Beitritt Geor­gi­ens und der von ameri­ka­ni­schen Krei­sen gefor­der­ten mili­tä­ri­schen Unter­stüt­zung der Ukrai­ne gezeigt, dass Maß und Mitte auch außen­po­li­tisch rele­vant sind.

Erstens: Die Covid-19-Pande­mie hat gezeigt, dass viel Verbes­se­rungs­be­darf im russi­schen Gesund­heits­we­sen besteht. Hier könn­ten wir enger zusam­men­ar­bei­ten. Bei allen poli­ti­schen Diffe­ren­zen, die wir haben, geht es hier um Menschen und um Huma­ni­tät.

Zwei­tens: Ein beider­sei­ti­ges Inter­es­se für eine engere Zusam­men­ar­beit besteht im Bereich des Klima­schut­zes. Russ­land wird erheb­lich durch vom Klima­wan­del beding­te Verän­de­run­gen belas­tet (Wald­brän­de, auftau­en­der Perma­frost), und in der russi­schen Bevöl­ke­rung wach­sen die Erwar­tun­gen an eine Schaf­fung moder­ner Umwelt­stan­dards. (…)

Drit­tens: Ein Ausbau der wirt­schaft­li­chen Zusam­men­ar­beit wird – unab­hän­gig von der Frage der bestehen­den Wirt­schafts- und Finanz­sank­tio­nen – umso besser möglich sein, je attrak­ti­ver Russ­land für auslän­di­sche Inves­to­ren wird. Dafür soll­ten wir Optio­nen entwi­ckeln, wie durch mehr Offen­heit und Rechts­staat­lich­keit sowie den Abbau der erheb­li­chen Büro­kra­tie und Korrup­ti­on und die Siche­rung der WTO-Stan­dards mehr wirt­schaft­li­cher Austausch möglich wäre. Auf dieser Grund­la­ge bleibt das Ziel eines gemein­sa­men Wirt­schafts­rau­mes von Lissa­bon bis Wladi­wos­tok.

Natür­lich sind Themen wie Abrüs­tung, die Umset­zung der Mins­ker Verein­ba­run­gen oder die Wieder­her­stel­lung der euro­päi­schen Frie­dens­ord­nung dring­li­che Aufga­ben. Aber derzeit ist dafür die Vertrau­ens­grund­la­ge nicht ausrei­chend und deshalb stra­te­gi­sche Geduld erfor­der­lich. Wenn auch Russ­land Dialog und Zusam­men­ar­beit mit der EU will, muss es zumin­dest die grund­le­gen­den Regeln und Stan­dards des Euro­pa­ra­tes einhal­ten, zu denen es sich mit seiner Mitglied­schaft verpflich­tet hat, auch im Fall Nawalnyj.

Die von Europa vertei­dig­te regel­ba­sier­te Ordnung wird auch von China in Frage gestellt. Im Unter­schied zu Russ­land will es – nach eige­nem Verständ­nis wieder – das mäch­tigs­te Land der Welt werden und eine sino­zen­tri­sche Welt­ord­nung errich­ten. Auf welcher Seite Russ­land bei dieser Ausein­an­der­set­zung steht, ist nicht ausge­macht. Es liegt im beider­sei­ti­gen Inter­es­se, dass Europa und Russ­land auch unter diesem Aspekt Gemein­sa­mes defi­nie­ren soll­ten.

Für einen Dialog über die im beider­sei­ti­gen Verhält­nis schwie­ri­gen Fragen wie über die mögli­chen Perspek­ti­ven sollte die EU auf Russ­land zuge­hen und Deutsch­land dazu den Anstoß geben.“

Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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