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Eine radikal-nationalistische Hoffnung platzt

Die Grenzen innerhalb des Schengenraums werden wieder geöffnet. Ein Angriff radikaler Nationalisten gegen diesen Schritt fand schon gar nicht statt.

Die Europäische Union hat grosse Probleme. Es ist unsicher, wie sie sich entwickeln wird. Vor allem steht wieder einmal die Zukunft der gemeinsamen Währung in Frage. Und: Kann und will die EU Staaten wie Ungarn und Polen in ihren Reihen behalten, die sich autoritär entwickeln und den Rechtsstaat, der auch Lebensgrundlage der Demokratie ist, sukzessive abschaffen?

Aber die offenen Grenzen sind ganz offensichtlich eine Errungenschaft, die in den Bevölkerungen, Parlamenten und Regierungen der Schengen-Staaten, einschliesslich der Schweiz, breit abgestützt ist. Zum Stichwort Schweiz: Haben wir von der SVP zu diesem Thema etwas Respekt-Erheischendes gehört, das den Bundesrat hätte davon abhalten können, die Vereinbarung mit Deutschland, Frankreich und Österreich über die Wiederöffnung der Grenzen abzuschliessen? Mehr als nur pathetisches Lob der Landesgrenzen? Nein.

Selbst für den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz, den man wohl als gemässigten Nationalisten oder Realo-Nationalisten bezeichnen kann, ist die Wiederöffnung der Grenzen offenbar eine Selbstverständlichkeit. Italien möchte möglichst bald wieder den Tourismus ankurbeln und wohl vor allem wieder Gäste aus Europa empfangen. Es würde auch nicht überraschen, wenn man bald wieder nach Ungarn und Polen fahren könnte, deren Regierungen ihre Länder kaum gegenüber den anderen benachteiligen wollen – warten wir’s ab.

Corona hat auch gezeigt, dass man das Prinzip der freien Grenzen nicht aufgeben muss, um die Grenzen in einer Notlage vorübergehend schliessen zu können. Sollte es zu einer heftigen zweiten Welle kommen, könnten sie wieder geschlossen werden. Allerdings hat sich inzwischen die Meinung ausgebreitet, dass die Pandemie besser durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit bekämpft wird.

Klar auseinanderzuhalten sind die Themen offene Grenzen und Personenfreizügigkeit. Die SVP schien ihren Abstimmungskampf für die Kündigungsinitiative mit dem Trumpf der Grenzschliessung führen zu wollen. Das ist ebenso falsch wie die Gleichsetzung der Zustimmung zu offenen Grenzen mit Zustimmung zur Personenfreizügigkeit.

Siehe zu diesem Thema auch: „Wenn sich Teile der Schweiz als Teile Europas erkennen„.

Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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