Sie befinden sich hier:

Bescheidenheit und Verlieren-Können: Unterschätzte Anforderungen an Demokratinnen und Demokraten

Vielleicht wird sich Trump an der Macht festklammern, wenn er die Wahlen verliert*? "Bürgerwehren" halten sich mit Maschinengewehren bereit, seinem Ruf zu folgen. Der Fortbestand der Demokratie kann dann vom Verhalten der staatlichen Sicherheitsorgane abhängen: Von Polizei, Armee, Geheimdiensten. - Die Sorge darum erinnert an unterschätzte Qualitäten, die die Demokratie erfordert: Bescheidenheit und Verlieren-Können - auch im kleinstaatlichen Alltag, weit abseits der Dramatik der Entwicklung in den USA.

Bescheidenheit: Die Bürgerin, der Bürger findet sich damit ab, in Wahlen und Abstimmungen nur eine Stimme zu haben, was fast immer bedeutet, den Ausgang einer Wahl oder Abstimmung nicht entscheiden zu können. Zu wählen und abzustimmen ist auch – und rational betrachtet, vielleicht sogar primär – ein symbolischer Akt der Anerkennung der Gemeinschaft, der Einordnung in sie. Die Stimme abzugeben wurde deshalb auch schon skeptisch oder zynisch umgedeutet: Man „gibt sie ab“ – statt sie kraftvoll zu erheben.

Grösseren Einfluss erlangt man nur mit Zustimmung und Mitwirkung Anderer: Indem man in ein Amt gewählt wird, am Einsatz direktdemokratischer Instrumente oder an der Willensbildung und politischen Arbeit von Parteien, Verbänden NGO’s mitwirkt.

Verlieren können: Je nachdem, worum es geht, kann das sehr hart sein. Die „Klimajugend“ zeigt uns das Dilemma, in das gerade gewissenhafte Menschen geraten können. Für sie sind die klimapolitischen Ergebnisse der demokratischen Mehrheitsbildung unannehmbar geworden. Die „Klimajugend“ will sich nicht mehr damit abfinden, dass nach ihrer Überzeugung die direktdemokratischen und parlamentarischen Prozesse zu langsam sind, um eine Klimakatastrophe zu verhindern. Immerhin bekennt sie sich zur Gewaltlosigkeit, im Gegensatz etwa zu radikalen Aktivistinnen und Aktivisten gegen die Abtreibung, welche in einigen Ländern gegen Kliniken, Ärztinnen und Ärzte zu Gewalt griffen.

Auch die Ergebnisse der Abstimmung vom 27. September 2020 werden für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger schmerzlich sein.

Der Ökonom Friedrich August von Hayek, bekannt als Mitbegründer dessen, was heute als Neoliberalismus bezeichnet wird, hat vor der Versuchung gewarnt, autoritäre Führer zu unterstützen, wenn sie versprechen, das „Richtige“ zu tun. Auf Menschen, die auf einem Gebiet hoch kompetent sind, könne diese Versuchung besonders stark wirken.

Gibt es ein Widerstandsrecht in der Demokratie? Ja, gegen Entscheide zur Aufhebung von Menschenrechten und zum Entzug der demokratischen Rechte von Teilen der Bevölkerung. Man kann dies aber auch anders sehen: Die Menschenrechte und die demokratische Gleichberechtigung sind unabdingbare Voraussetzungen einer Demokratie. Werden sie aufgehoben, richtet sich der Widerstand nicht mehr gegen eine Demokratie.

Link zum Artikel von Meret Baumann, erschienen am 25.9.2020 in der NZZ: „Trump beschädigt das Vertrauen in die amerikanische Demokratie“

Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

Beitrag teilen

PDF erstellen oder ausdrucken

Schreibe einen Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *

Kommentar abschicken

Ähnliche Artikel

Ständemehr – auch für Staatsverträge mit Verfassungsrang?

Die Konzernverantwortungsinitiative ist am Ständemehr gescheitert. Dies ist ein guter Moment, darauf hinzuweisen, dass der Ständerat als Erstrat beschlossen hat, die Bedeutung des Ständemehrs – und damit den Einfluss der kleinen, konservativen Kantone – weiter zu stärken: Staatsverträge mit Verfassungsrang sollen dem obligatorischen Referendum und damit dem Ständemehr unterstellt werden.

Weiterlesen »