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Corona: Trotz aller Unzufriedenheit mit dem Bundesrat – das Parlament kann ihn nicht ersetzen.

Regieren heisst nicht nur beschliessen, sondern auch Beschlüsse erarbeiten, auch unter hohem Zeitdruck. Wenn das Parlament Regierungsfunktionen an sich ziehen würde, müsste es hierfür auch seine Verwaltung und seinen Stab ausbauen, diese führen und über ihre Anträge zeitgerecht entscheiden. Das ist unrealistisch, ganz besonders für ein nur teilweise professionelles "Miliz"-Parlament wie das schweizerische.

Die Sozial- und Gesundheitskommission des Nationalrats beantragt, ins COVID-19-Gesetz zu schreiben, dass Restaurants und andere Betriebe ab 22. März wieder öffnen dürften, und dies irreversibel (Link zur Medienmitteilung). Auf die Frage, was zu geschehen hätte, wenn die Fallzahlen explodieren würden, gaben die Antragsteller zwei Antworten: Entweder würde das Parlament kurzfristig zusammentreten, oder der Bundesrat könne wieder Notrecht erlassen.

Den Vorschlag, Notrecht zu erlassen, kommentiert Fabian Schäfer in der NZZ vom 23.2.21 zutreffend:

“Damit die Regierung mit einer Notverordnung eingreifen kann, braucht es unter anderem eine dramatische Entwicklung, die eine rasche Reaktion erfordert und für den Gesetzgeber nicht absehbar war. Die zweite Voraussetzung wäre schwerlich erfüllt. Dem Parlament ist bekannt, dass gemäss der Wissenschaft ein rasanter Anstieg der Fallzahlen aufgrund der mutierten Virusvarianten auch in der Schweiz möglich oder sogar erwartbar ist. Wenn das Parlament im Wissen um dieses Risiko die Öffnung der Gastronomie verbindlich festlegen würde, hätte der Bundesrat dies vermutlich zu akzeptieren. Die Situation wäre völlig anders als im März 2020, als angesichts des neuen Virus Notrecht auf breiter Front zum Einsatz kam.

Für den Bundesrat könnte die Situation unangenehm werden. Er müsste untätig zuschauen, wie die Fallzahlen steigen – oder sich eben doch über den Entscheid des Parlaments hinwegsetzen, in bewusster Überdehnung seiner Kompetenzen. Der Aufschrei wäre gross. Namentlich die SVP könnte ihm nun tatsächlich vorwerfen, er missachte den Parlamentswillen.”

*

Zum anderen Vorschlag: Nehmen wir an, National- und Ständerat würden kurzfristig einberufen und träten zusammen. Wer würde die Anträge vorbereiten, die Begründungen erarbeiten und prüfen? Doch der Bundesrat? Höchst wahrscheinlich wären in einer solchen Situation sowohl die Beurteilung der epidemiologischen Lage und Entwicklung als auch die Eignung, Notwendigkeit, Verhältnismässigkeit der vorgeschlagenen Massnahmen umstritten – sehr verständlich, denn man täte sich zu Recht schwer, weitere wirtschaftliche und soziale Existenzen zu opfern. Wer würde solide Gegenanträge vorbereiten? Stäbe von Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften? Avenir Suisse?

Auch wenn Viele die Covid Science Task Force ins Pfefferland wünschen, darf man doch annehmen, dass eine Mehrheit der Parlamentarierinnen und Parlamentarier nicht ohne Expertenwissen aus verschiedenen Fachrichtungen entscheiden möchte, ob wieder Massnahmen zur Reduktion der Kontakte nötig sind, und was offen bleiben kann und was zu schliessen ist.

Die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement von Bundesrat und Verwaltung ist in verschiedener Hinsicht berechtigt. Realistisch und notwendig ist, mit parlamentarischen Instrumenten wie der Motion und der Oberaufsicht Einfluss zu nehmen.

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Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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