Vor naiver Hoffnung auf Unterstützung der Schweiz aus anderen Hauptstädten wird gewarnt. Dass sich der österreichische Bundeskanzler gegen „Nadelstiche“ und für die Weiterführung der Kooperation der EU mit der Schweiz aussprach, nützt uns wenig, und gegenüber der begeisterten Annäherung der Brexiteers an die Schweiz ist höchste Vorsicht geboten. Ein Ausbau der Beziehungen zu Grossbritannien kann eine Teilstrategie sein, die aber höchstens diskret angegangen werden kann, solange man Wert darauf legt, mit Kommission und Mitgliedstaaten in einem schadensmindernden „Dialog“ zu bleiben*. Generell ist damit zu rechnen, dass sich die meisten Mitgliedstaaten hinter die Kommission stellen, wenn der Eindruck entsteht, die Schweiz könnte einzelne Mitgliedstaaten gegen Brüssel einnehmen.
Auch die Meinungäusserung Katja Leikerts ist mit Vorsicht aufzunehmen, aber sie scheint doch aus einem Entscheidungszentrum zu kommen, das für den künftigen Umgang der EU mit der Schweiz relevant ist. Frau Leikert ist in Hessen gewählt, also nicht im traditionell schweizfreundlichen, auch wirtschaftlich besonders an der Schweiz interessierten Süddeutschland.
Auszug aus dem Artikel Katja Leikerts:
„(…) Aussenminister Ignazio Cassis hat recht, wenn er sagt, dass eine Einigung einen «grossen Kompromiss» erfordert hätte. Einige Hardliner in der schweizerischen Verwaltung waren dazu nicht bereit, genauso wenig, wie die EU-Kommission zu einer Aufweichung ihrer Standpunkte bereit war. Der Bundesrat hätte das Risiko eingehen sollen, für das Abkommen zu werben. Die Reaktionen aus den schweizerischen Grenzregionen zeigen, dass Menschen bereit gewesen wären, für dieses Abkommen zu kämpfen. Nicht jedes Gebell der SVP darf honoriert werden.
Allerdings hat nicht nur die Schweiz Fehler gemacht. Neben der unsinnigen Drohung, keine bilateralen Abkommen mehr zu verhandeln oder abzuschliessen, muss die EU sich fragen, warum sich nach den Briten schon wieder ein natürlicher Verbündeter vom europäischen Projekt entfernt.
Ich verstehe den Wunsch der EU, in Verhandlungen kohärent gegenüber Drittstaaten aufzutreten. Aber die EU hat Fehler aus den Brexit-Verhandlungen mit David Cameron wiederholt. Die EU stärkte die Position der SVP, wie sie die Brexit-freundlichen Teile der Tories aufgepäppelt hat, indem sie die Auseinandersetzung mit den Argumenten der Verhandlungspartner scheute. Aber diese Argumente waren da, und sie waren eben mehr als Lügen und Rechtspopulismus. Das heisst nicht, dass die schweizerische Entscheidung richtig war, aber die EU muss Verhandlungen auf Augenhöhe ermöglichen, um die Beziehungen zu so essenziell wichtigen Drittstaaten wie der Schweiz nicht zu beschädigen.
Die EU hat recht, wenn sie sagt, dass die bilateralen Abkommen mit der Entwicklung des Handels nicht mehr Schritt halten. Die Auswirkungen des Scheiterns der Gespräche sind sofort spürbar, ein Abkommen zur Anerkennung schweizerischer Medizingeräte lief schon aus. Weitere werden in den nächsten Jahren folgen.
Aber die Argumentation der EU, keine weiteren Abkommen abschliessen zu wollen, folgt einer verqueren Logik. Nur weil das Abkommen gescheitert ist, muss man nicht das ganze Spielbrett umwerfen. Das positive Zeichen der Schweiz zur Unterstützung für neuere EU-Mitglieder sollte konstruktiv aufgenommen werden. Ein Rahmenabkommen wäre die bestmögliche Lösung für beide Seiten gewesen – nun gilt es, eine zweitbeste Lösung zu finden, denn die gemeinsamen Herausforderungen sind gross.“
* Niklaus Nuspliger, Korrespondent der NZZ in London: „Die Briten sind hartnäckige Verhandlungspartner, die ihre Eigeninteressen verfolgen und keine Geschenke verteilen, und wenn der Bundesrat Brüssel nicht gänzlich vor den Kopf stossen will, kann er nun schlecht den Eindruck erwecken, er strebe eine Allianz mit Brexit-Britannien an.“ (Link)
Link zum Artikel von Katja Leukert.