Die Rahmenbedingungen für die Gewinnung gut qualifizierter Frauen und Männer für Kandidaturen um politische Ämter haben sich verändert – gleich ist geblieben, dass der Einstieg noch immer meist in ein Milizamt in Gemeinde oder Stadt erfolgt. Es gilt also, zu beurteilen und zu entscheiden: Kann und will ich mir die Übernahme einer solchen, kaum oder nicht bezahlten Arbeit leisten? Wie wird sie sich auf mein berufliches Fortkommen auswirken? Wird es meine Arbeitgeberin, mein Arbeitgeber überhaupt zulassen? Setze ich darauf, Politik eines Tages zum Beruf machen zu können – im Wissen, dass es nur wenige berufsähnlich abgegoltene politische Funktionen gibt, und dass man in Gemeinde, Stadt, Kanton eine Ochsentour absolvieren muss, die zehn, fünfzehn Jahre oder noch länger dauern kann, bis sie an die Schwelle einer Kandidatur zu einem Berufsamt ankommt?
Je schwieriger es wird, die kommunalen Milizämter gut zu besetzen und hierfür Gewonnene rechtzeitig in kantonale Parlamente zu bringen, desto kleiner wird die Auswahl für Kandidaturen auf der Stufe Regierungs-, National- und Ständerat. Lässt sich das Problem durch vermehrte Quereinstiege auf höherer beruflicher und politischer Ebene mildern? Quereinstiege waren bisher selten, werden an der Basis oft beargwöhnt, und die Parteiführung muss die Quereinsteigerin, den Quereinsteiger an minderqualifizierten Konkurrenten vorbeibewegen, die die Ochsentour absolviert haben. Aber selbst wenn der Wille dazu stärker wird – geeignete Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger sind selten, und es fehlen ihnen wichtige politische Erfahrungen.
In der Bevölkerung macht sich der Eindruck breit, Politik werde immer professioneller und immer kombattanter. Wer nicht bereit ist, sowohl viel zu arbeiten als auch politische Kampfsportlerin, politischer Kampfsportler zu werden, scheut zurück. Wer sich nicht zutraut „Arena-tauglich“ zu werden, kann gleich vergessen, dass sein oder ihr Einstieg in die Politik eines Tages in eine Spitzenfunktion führt. Aber auch auf Gemeindeebene werden die Aggressionen gegen Behörden immer heftiger und die Anfechtungen werden professioneller, zum Beispiel gehen Eltern immer öfter mit anwaltschaftlicher Unterstützung gegen Schulbehörden vor.
Mit ins Bild gehört, dass weiterhin starke Motive für den Einstieg in die Politik wirken – aber solche, die wir uns nicht wünschen: Egozentrik, Streitlust, ideologisches Getrieben-Sein, Partikularinteressen… Gegen solche Konkurrenz müssen sich diejenigen behaupten wollen und können, die wir brauchen würden.
Parteien brauchen Strategien, um trotzdem geeignetes Personal für politische Ämter zu gewinnen und zu entwickeln. Personal zu entwickeln bedeutet auch, die Verweildauer auf hohen Posten zu beschränkten, damit guter Nachwuchs nach oben kommen kann. Erfreulicherweise sind Viele im Rentenalter noch bestens in der Lage, ein Regierungsamt auszuüben – aber wenn sie schon mehrere Amtsdauern hinter sich haben, ist ihre Wiederkandidatur auch unter dem Aspekt der Personalentwicklung zu beurteilen.
In der Schweiz lässt man gute Leute oft zu lange warten, bis sie Aufgaben übernehmen können, die ihren Fähigkeiten entsprechen. Beispiel: Mit 30 Jahren in die Exekutive einer Gemeinde (was unüblich früh ist), nach 8 Jahren ins Kantonsparlament, nach nochmals 8 Jahren in den Regierungs- oder Nationalrat, nach weiteren 8 Jahren, also in den mittleren 50-ern, reif für eine Wahl in den Bundesrat – wenn Partei und Kanton stimmen. Das sollte sich beschleunigen lassen.