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Klima, Migration: Politik als – vermeintlicher oder wirklicher – Kampf um die Lebensweise

Die Massnahmen, die zur Klimarettung nötig sind, und die Migration können unsere Lebensweise einschneidend verändern. Deshalb wird die politische Auseinandersetzung immer härter. Verweigerung greift um sich: Gegen wissenschaftliche Erkenntnisse und gegen ethische Gebote.

Klima.

Die SVP ergreift das Referendum gegen das CO2-Gesetz: Die Klimapolitik führe in eine Zweiklassengesellschaft. Und tatsächlich lässt sich nicht bestreiten, dass es bei Verteuerung klimaschädigenden Verhaltens künftig vermehrt von den Einkommens- und Vermögensverhältnissen abhängt, wieviel man noch Auto fährt und ob man sich eine Ferienreise zum Beispiel nach den Seychellen oder eine Studienreise nach Japan noch leisten kann.  Das ist der politische Preis, den wir dafür bezahlen, dass wir nicht verbieten, sondern finanziell lenken wollen. Sind die Reichen bereit, die weniger Reichen und die Armen dafür zu entschädigen, dass sich die Auswirkungen der finanziellen Lage eines Individuums und einer Familie auf Alltag und Freizeit verschärfen? Wie wäre das überhaupt möglich?

Migration.

Wo werden wir Wohnraum bereitstellen, wie werden sich die Quartiere entwickeln, wenn immer mehr Menschen aus Afrika nach Europa kommen? Wie wird es sich auf ihr Verhalten auswirken, wenn viele von ihnen vielleicht ihr ganzes Leben lang mangels Qualifikation keinen Platz im ersten Erwerbsarbeitsmarkt finden? Werden wir den ergänzenden Arbeitsmarkt kräftig ausbauen müssen, um zu vermeiden, dass sich wachsende Bevölkerungsgruppen aus Unzufriedenheit und Lageweile in der Kriminalität „beschäftigen“? Werden wir das Nötige tun? Was wird es kosten, was wird es nützen?

In beiden Bereichen baut sich eine Verweigerungshaltung auf. Man verweigert sich der Information und dem moralischen Appell. Die demokratische Durchsetzung ökologischer und humanitärer Erfordernisse wird schwieriger.

Alarmieren und an das Gewissen appellieren bleibt nötig, aber ebenso nötig ist, aufzuzeigen und zu diskutieren, dass ein Leben mit ökologischen und humanitären Lösungen lebenswert sein wird.

Der Ausgang dieser Kämpfe ist offen.

Brigitte Hürlimann, zurückgekehrt von einer Studienreise in Konzentrationslager, zitiert in ihrem Bericht in der „Republik“ den wissenschaftlichen Reiseleiter Professor Marcel A. Niggli: „Wir bewegen uns in Siebenmeilen­stiefeln in Richtung Auschwitz. Die Mechanismen, die zur Shoah geführt haben, bestehen weiter. Es werden Kategorien gebildet. Es wird ausgesondert. Die Menschen­rechte gelten nicht für alle – oder nicht im gleichen Masse. Auch uns wird man später einmal die Frage stellen: Was habt ihr gewusst?»

Gemeint ist das Ertrinkenlassen im Mittelmeer und die Art, wie wir mit denen umgehen, denen es gelingt, nach Europa zu kommen.

Die Shoah ging auf einen Entschluss zurück, ein Volk, das jüdische, und andere Gruppen zu vernichten. Einen solchen Entschluss gibt es nicht bezüglich der Migranten aus Afrika. Aber wenn sich schleichend durchsetzt, dass das Ertrinkenlassenund das Vermiesen des Aufenthalts in Europa Strategien sind, sind wir nahe daran. Dann bleibt noch der Unterschied, dass den hierfür Verantwortlichen vielleicht kein Nürnberger Tribunal bevorsteht, weil keine Macht in Sicht ist, die sie besiegen und zur Rechenschaft ziehen könnte.

Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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