Für das Verhalten der rechten und linken Blockadekräfte ist bis auf Weiteres massgeblich, was Tobias Gafafer (NZZ 6.12.22, Link) in einer Analyse feststellt: “Die Schweiz ist heute in einer besseren Situation als nach dem EWR-Schock 1992. Entgegen düsteren Warnungen von Befürwortern des Rahmenvertrags ist sie wirtschaftlich gut aufgestellt. Sie braucht nicht um jeden Preis sofort eine Einigung mit der EU. Die Bilateralen sind in Kraft, auch wenn die Blockade mit Brüssel schleichend zu Problemen führt. Das Vertragswerk hat in den letzten zwanzig Jahren dazu beigetragen, dass die Schweiz prosperierte.”
Das wird sich bis zu den Parlaments- und Bundesratswahlen 2023 nicht wesentlich ändern. Sicher ist es richtig und nötig, vor den Wahlen die Europapolitik zu thematisieren, auch mit Blick auf den Erosionsmonitor von Avenir Suisse (Link), aber wer – wie der Schreibende – eine grundlegende Neuorientierung der schweizerischen Europapolitik befürworten würde, wappne sich mit Geduld.
Die Fehlentwicklung der schweizerischen Europapolitik ist auf unvereinbare Grundhaltungen zurückzuführen, die von je etwa der Hälfte der Bevölkerung geteilt werden. Mit 50,3 % wurde der Beitritt zum EWR abgelehnt. Mit 50,3 % wurde die Masseneinwanderungsinitiative angenommen. Mit zum Teil deutlicheren Mehrheiten wurden allerdings mehrere andere Initiativen der EU-Gegner abgelehnt. Wenn die EU bereit wäre, den bilateralen Weg weiterhin zu den bisherigen Bedingungen weiterzugehen – was nicht der Fall ist -, wäre er in der Schweiz mehrheitsfähig.
Zu den Erfahrungen, die die Schweiz machen muss, gehört auch das Potenzial neuer Allianzen, insbesondere mit Grossbritannien, und des Ausbaus von Wirtschaftsbeziehungen und Kooperationen mit den USA, Fernost und Golfregion.
Sodann wird die Entwicklung der schweizerischen Europapolitik auch von der Entwicklung der EU abhängen. Allerdings ist durchaus nicht selbstverständlich, dass es, wie Viele erwarten und Einige hoffen, im Interesse der Schweiz wäre, wenn die EU durch ihre zentrifugalen Kräfte stark geschwächt und vielleicht zur Bedeutungslosigkeit absinken würde. Vorstellbar ist ein Niedergang der EU schon, aber wir erleben derzeit, dass Nachbarstaaten heftig auf Differenzen mit der Schweiz reagieren können, unabhängig von der EU. Beispiele: Kampfflugzeugbeschaffung, Gepard-Munition. Entfesselte europäische Nationalstaaten könnten für die Selbstbehauptung eines Kleinstaats nachteiliger sein als eine EU, die immerhin einigen mit der Schweiz vergleichbaren Klein- und Mittelstaaten, die ihr angehören, bisher gute Existenz- und Entwicklungsbedingungen bot.