Grosse Teile der SVP werden von ihrem Umwelt-, Energie- und Verkehrsminister erwarten, dass er die Klimamassnahmen bremst und aus seinem Departement keine neuen Massnahmenvorschläge bringt. Bald wird sich zeigen, ob Rösti wirklich bereit ist, die Klimakrise ernst zu nehmen und einen eigenen, mit Haltung und Erwartungen des Bundesratskollegiums vereinbaren Kurs zu entwickeln. Wie wird er sich verhalten, wenn der Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative zur Abstimmung kommt? Er müsste die zustimmende Haltung des Bundesrates vertreten. Wird er erkennen lassen, dass es nicht seine eigene ist? Christoph Blocher ist mit dem schlechten Beispiel vorangegangen, als er als Bundesrat vor der Schengen-Abstimmung an einer Kundgebung im Rafzerfeld gegen die Vorlage teilnahm. Die Meinung scheint verbreitet zu sein, dass Rösti dem Kollegialprinzip stärker verpflichtet ist, als es Blocher war. Wenn Rösti sich entscheiden sollte, in der Klimapolitik – entgegen verbreiteter Erwartungen – das Nötige zu tun, kann er mit der Unterstützung eines Teils der landwirtschaftlichen Basis rechnen.
Mindestens eben so schwer ist die Aufgabe der neuen Migrationsministerin. Der Frohnatur Baume-Schneider kann das Strahlen bald vergehen. Sie, die sich in den Wochen ihrer Kandidatur als zutiefst der Einzelfallgerechtigkeit verpflichtete Sozialarbeiterin vorstellte, wird an den Schengen-Konferenzen teilnehmen und dort feststellen, dass in ganz Europa die Migrationspolitik in Verhärtung begriffen ist. Sie wird sich bemühen, in der Schweiz und im Schengen-Raum einen Kerngehalt von Humanität und Menschenrechtsgeltung zu schützen, aber gerade deshalb ist sie die ideale Zielscheibe für Rechtspopulismus im Wahljahr 2023 und darüber hinaus.
Und die Beziehungen der Schweiz zur EU? Nun lesen wir, Bundesrat Cassis bleibe im EDA, weil er die Früchte eines Durchbruchs zu Verhandlungen mit der EU ernten wolle. Aber die Europapolitik ist vorerst vor allem Innenpolitik: Die „Sozialpartner“ werden aneinander geraten, wenn es darum geht, ob und wie der Lohnschutz im Innern unseres Landes verstärkt wird, zur Kompensation der Kompromisse, die die Schweiz mit der EU machen müsste. Und es gibt keine Anzeichen, dass die Gewerkschaften die institutionellen Hauptforderungen der EU akzeptieren werden.
Aussenminister Cassis und Aussenwirtschafts- und Forschungsminister Parmelin müssten deshalb das Europa-Dossier vor allem durch Verhandlungen mit den „Sozialpartnern“ voranbringen. Hilfreich wäre, dass die SP-Mitglieder im Bundesrat einen intensiven europapolitischen Dialog mit den Gewerkschaften führen würden. Dass sie hierfür die Kapazität und die Bereitschaft haben, ist leider zu bezweifeln.
* Link zum Bericht mit Ernst Stockers Warnung.