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Beziehungen Schweiz-EU: Doppelstrategie nötig

Die Erwartung breitet sich aus, dass das Ergebnis der Verhandlungen zwischen der Schweiz und der EU an der Urne scheitern werde. Dies legt eine Doppelstrategie nahe: Die Überzeugungsarbeit stärken und einen konkreten Plan B für den Gang in den Drittlandstatus erarbeiten.

Ein konkreter Plan B für alle Bereiche, für die die europäischen Märkte und Kooperationen wichtig sind, wird sich auch auf den Abstimmungskampf auswirken: Er wird die Beurteilung erleichtern, ob für die Schweiz eine Zukunft mit allmählich abnehmender Milderung des Drittlandstatus durch bilaterale Verträge erstrebenswert, erträglich oder allzu nachteilig ist.

Matthias Daum, Leiter des Schweiz-Büros der “Zeit”, schreibt in deren Ausgabe vom 14.3.24: “Man muss kein Defätist sein, um zu behaupten: Eigentlich ist die Sache bereits gelaufen.” Aber er rät nicht zur Resignation, sondern will aufrütteln: “Damit die Verträge in einer Volksabstimmung bestehen können, müssen aufbruchslustige Liberale, vernünftige Linke, gemäßigte Arbeitnehmerorganisationen und die Wirtschaftsverbände die Europafrage endlich als das erkennen, was sie ist: eine Entscheidung über das große Ganze.”

Die Gegnerinnen und Gegner eines Vertragsabschlusses machen geltend, die Schweiz würde ohne neue Verträge mit der EU sogar besser fahren als mit neuen Regeln für die bilateralen Beziehungen. Dabei bleiben sie im Allgemeinen, oft beginnend mit der pauschalen Feststellung, der Schweiz gehe es ja viel besser als den Mitgliedsstaaten der EU. Nur schon deshalb könne für die Schweiz eine Übernahme von EU-Regulierungen für die Schweiz nur nachteilig sein. Künftige Eintrittshürden zu Märkten und Kooperationen der EU seien für ein wirtschaftlich so starkes Land wie die Schweiz kein Problem. Sie könnten sogar nützlich sein. So wird den Schweizer Hochschulen vorgehalten, sie sollten froh sein, wenn sie sich von den angeblich leistungsschwachen Forschungsinstituten im EU-Raum abwenden und durch Kooperationen mit aussereuropäischen und britischen Instituten ersetzen müssten, deren Ratings viel besser seien.

Solche allgemeinen Verheissungen der Vertragsgegner müssen zu einem konkreten Plan B ausgestaltet werden: Für Export- und Binnenwirtschaft (die als Lieferantin und Dienstleisterin der Exportwirtschaft mitbetroffen ist), für Forschung, Bildung, Energiewirtschaft und alle weiteren Bereiche.

Die Plan-B-Arbeit kann zu Desillusionierungen führen. Ein bereits eingetretenes Beispiel: Es wurde gefordert, die Wirtschaftsbeziehungen zu China auszubauen, um unabhängiger von den europäischen Märkten zu werden. Verluste von Marktanteilen in Europa könnten dann im Handel mit China wettgemacht werden. Die innere Entwicklung Chinas, einschliesslich Hongkongs, und die Gefahr eines Kriegsausbruchs um Taiwan und im südchinesischen Meer lassen diese Hoffnung als unrealistisch erscheinen.

Ein Thema der Plan-B-Arbeit wird auch die Teilstrategie eines Ausbaus des Freihandelsvertrags sein.

Parallel zur konkreten Vorbereitung auf die beiden möglichen Abstimmungsergebnisse sollten wir aber auch die Grundhaltung gegenüber Europa und seinen Zukunftsperspektiven überprüfen (Link).

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Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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