Eine erstaunlich geschichtsblinde Äusserung – ausgerechnet eines für Deutschland zuständigen Journalisten. Als ob Adolf Hitlers Nazi-Partei nicht viel grössere Wähleranteile gewonnen hätte als nun die AfD. Aus der letzten freien Reichstagswahl, am 5. März 1933, ging die NSDAP mit 43,9 Prozent hervor (Link). Wird sie dadurch rückwirkend als demokratisch rehabilitiert?
Maximilian Krah, der Spitzenkandidat der AfD für die kommenden Europawahlen, appellierte kürzlich an die Deutschen, stolz auf die Nazizeit zurückzublicken. Susanne Gaschke, Kollegin Kisslers bei der Berliner NZZ-Redaktion, berichtete darüber (Link):
«Der AfD-Politiker Maximilian Krah wirbt für seinen Blick auf die deutsche Geschichte. Den Nationalsozialismus blendet er dabei aus. Die Parteiführung sagt zu diesen Äusserungen nichts.
Der AfD-Politiker Maximilian Krah ist einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland erst bekannt, seit er auf dem AfD-Parteitag Ende Juli zum Spitzenkandidaten für die Europawahl nominiert wurde. (…)
Krah will die Christlichdemokraten, denen er selbst bis 2016 angehörte, zum Verschwinden bringen, er setzt auf ihre «Zerstörung». Auf der Internetplattform Tiktok spricht er gezielt jüngere und –interessanterweise – auch türkischstämmige Wähler an, zum Beispiel mit Slogans wie ‘Echte Männer sind rechts’. (…)
Durch das Weglassen jeglicher Einordnung oder Relativierung sagt Krah letztlich mehr, als zu hören ist: Folgt man ihm, dann müsste man stolz sein auf Vorfahren, die nach 1933 die mühsam errungene Demokratie in Deutschland beseitigten. Die politische Gegner einsperrten, ausser Landes trieben oder umbrachten. Die Millionen von Juden verfolgten und mit deutscher Effizienz ermordeten. Die nahezu alle ihre Nachbarländer überfielen. Die im Zweiten Weltkrieg allein im Feldzug gegen die Sowjetunion für 25 Millionen Tote dort verantwortlich sind – Soldaten, Zivilisten, Kriegsgefangene. Die 4 Millionen deutsche Soldaten und 1,5 Millionen deutsche Zivilisten ihrer nationalsozialistischen Wahnidee geopfert haben. (…)
Weder der AfD-Bundesvorstand, dessen Mitglied Krah ist, noch die AfD-Bundestagsfraktion wollten sich zu dem Video äussern oder sich davon distanzieren.”
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Wer in Bayern und Hessen am 8. September 2023 AfD wählte, konnte es im Wissen um diese Haltung eines repräsentativen Vertreters der AfD tun.
Wer mag, ist frei, trotzdem zu hoffen, dass Protestwählerinnen und Protestwähler die AfD vom Rechtsextremismus wegbewegen. Wenn die AfD in Hessen, Bayern und künftig wohl in weiteren Bundesländern mehr Landtagsabgeordnete stellt, treten auch mehr Exponentinnen und Exponenten auf, die mitentscheiden und repräsentativ kommunizieren, wie sich die Partei zum Nationalsozialismus stellt.
Kisslers Beurteilung passt zur Forderung von NZZ-Autoren, die “Altparteien” sollten die “Brandmauer” zur AfD fallen lassen und mit ihr kooperieren, um sie “einzubinden”. Sachpolitische Kooperation mit der AfD in Gemeinden, Städten und vielleicht auch Bundesländern mag sich im Interesse der Aufgabenerfüllung irgendwann aufdrängen, aber nicht um jeden Preis, und der Weg dazu kann nicht durch Verharmlosung dieser Partei geebnet werden.
Mehr dazu:
“AfD-Spitzenkandidat stolz auf Nazi-Vergangenheit – Ende der Einbindungs-Illusion?” (Link)
“Weshalb sich wieder mehr Menschen dem Nationalsozialismus zuwenden” (Link)