You are here:

Wird die Schweizer Sozialdemokratie zusammenbleiben?

Von aussen betrachtet, sind in der Schweizer Sozialdemokratie vier Kräfte festzustellen: Die Jusos wollen sie zur "Bewegung" machen, die Gewerkschaften verteidigen ihren traditionellen starken Einfluss, eine sozialliberale Minderheit mit dem Zürcher Ständerat Jositsch als Hauptexponent kämpfen um ihre Stellung, und eine vierte Denkrichtung setzt sich dafür ein, dass die SPS weiterhin zwei Flügel hat. Der Fortbestand einer grossen Sozialdemokratie mit linkem und rechtem Flügel ist nicht selbstverständlich, weder im europäischen Vergleich noch mit Blick auf die Entwicklung im 20. Jahrhundert.

Seit den sechziger Jahren gab es in der Schweiz mehrere Linksparteien: Nebst der SP die Progressiven Organisationen (POCH), die kommunistische Partei der Arbeit, verschiedene „Alternative“, und da und dort, zeitweilig, eine Revolutionäre Marxistische Liga und Marxisten-Leninisten. Die stärkste unter ihnen nach der SP, die POCH, löste sich auf. Frühere POCH-Mitglieder machten teils bei den Grünen (z.B. Daniel Vischer), teils bei SP (z.B. Anita Fetz und Susanne Leutenegger Oberholzer) Karriere.

Wenn sich heute die Frage stellt, ob die SPS zusammenbleiben will und kann, ist die starke Konkurrenz durch die Grünen zur Linken und die Grünliberalen zur Rechten zu beachten. Bestimmen Juso und Gewerkschafter künftig den Kurs der SPS, stellt sich die Frage nach der Unterscheidbarkeit von den Grünen. Und jenen Sozialdemokraten, die bereits zu den Grünliberalen gingen, dürften weitere folgen. Behalten die Sozialliberalen aber Einfluss auf den Kurs, drohen weitere Abwanderungen zu den Grünen.

Ein Blick in die Nachbarländer bestärkt den Eindruck, dass eine einheitliche Linkspartei neben den Grünen nicht selbstverständlich ist. In Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich gibt es mehrere Linksparteien,

Umstritten scheint die Frage zu sein, mit welchem Kurs die SP, wenn sie zusammenbleibt, bessere Wahlergebnisse erzielt. Verständlicherweise argumentiert der linke Flügel, die vergleichsweise gemässigte, überdies in eine grosse Koalition eingebundene SPD erleide massive Verluste. Aber in Frankreich ist auch die radikal linke France insoumise von Mélenchon in den Europawahlen 2019 eingebrochen.

Der Ausgang ist offen. Aber aus verschiedenen Gründen ist auch die Zukunft von FDP, CVP und SVP  nicht gesichert. Eine Neustrukturierung des Parteienspektrums nach Kriterien der wichtigsten politischen Fragen der heutigen Zeit müsste für das Land nicht von Nachteil sein.

Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

Beitrag teilen

PDF erstellen oder ausdrucken

Schreibe einen Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *

Kommentar abschicken

Ähnliche Artikel

Volksinitiativen gegen Mass- und Skrupellosigkeit haben Chancen

Am 3. März 2013 nahmen Volk und Stände die Abzocker-Initiative an. Man mag bezweifeln, ob sie die Erwartungen, die in sie gesetzt wurden, erfüllte. Aber sie zeigt, dass eine Volksinitiative, die sich gegen Mass- und Skrupellosigkeit richtet, eine Chance hat, angenommen zu werden. Der Umgang von Bundesrat und Parlament mit der Konzernverantwortungs- und der Transparenzinitiative wirkt deshalb ziemlich übermütig.

Weiterlesen »

Die Neutralität dient der Unabhängigkeit, der Sicherheit, dem Zusammenhalt und der Aussenpolitik

Die Neutralität der Schweiz ist kein Selbstzweck. Sie dient der Unabhängigkeit, der Sicherheit, dem Zusammenhalt und der Aussenpolitik der Landes. Da sie kein Selbstzweck ist, wird sie nach Bedarf und nach Lage diesen Zielen untergeordnet, denen sie dient. Im Fall Crypto ist der Betrug an den Käufern der Geräte skandalös. Wahrscheinlich liegt auch eine Verletzung der Neutralität im Nachrichtendienst vor. Diese muss im Kontext anderer, meist stillschweigend geduldeter Durchbrechungen der Neutralität beurteilt werden. „Die «Crypto-Leaks» stören das Selbstbild der neutralen Schweiz, auch wenn die Neutralität noch nie klinisch und absolut gelebt wurde“ (Georg Häsler Sansano, NZZ 13.2.20).

Weiterlesen »