Ja, es gab Enttäuschungen. Jede politische Richtung wird von Zeit zu Zeit durch Abstimmungsergebnisse enttäuscht. Ich zum Beispiel bedauerte die Annahmen der Masseneinwanderungs-, der Ausschaffungs-, der Minarett-, der Burkainitiative und die Ablehnung des CO-2-Gesetzes.
Einige ermutigende Ergebnisse aus den letzten zehn Jahren, in chronologischer Reihenfolge (neuer vor älter):
- Annahme der Ehe für Alle
- Ablehnung der 99-Prozent-Initiative
- Ablehnung der „Begrenzungsinitiative“
- Annahme der Strafbarkeit von Diskriminierung und Aufruf zu Hass aufgrund der sexuellen Orientierung
- Annahme des Bundesbeschlusses zur Änderung der Waffenrichtlinie (Weiterentwicklung „Schengen“)
- Ablehnung der „Selbstbestimmungsinitiative“ (die faktisch die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention aufgehoben hätte)
- Ablehnung einer Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren
- Annahme des Energiegesetzes 2016
- Annahme der erleichterten Einbürgerung der dritten Ausländergeneration
- Annahme der Reform 2015 des Asylgesetzes
- Ablehnung des Durchsetzungsinitiative (überraschend und deutlich)
- Ablehnung der Aufhebung der Wehrpflicht
- Annahme des Epidemiengesetzes
Die Volksmehrheit weiss auch Mass zu halten mit ihren eigenen Ansprüchen, mitzubestimmen: Sie lehnte die Initiative für die Volkswahl des Bundesrates und die Staatsvertragsinitiative ab.
Jedes Abstimmungsresultat hat seine Vorgeschichte. Man kann versuchen, aus Vorgeschichten missglückter Abstimmungen Konsequenzen zu ziehen, und sollte dies wohl noch vermehrt tun.
Wir haben keinen Anlass, zu resignieren. Auch jetzt, vor der zweiten COVID-19-Abstimmung, nicht.
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Man hat aus der direkten Demokratie die „Zauberformel“ abgeleitet. Aber dass den vier grössten Parteien sachpolitisch bedingungslos Sitze im Bundesrat gewährt werden, ergibt sich nicht zwingend aus der direkten Demokratie. Dass die Schweiz keine grosse Oppositionspartei ertrage, da diese mit Initiativen und Referenden die Regierungspolitik lähmen könnte, ist eine blosse, bei genauerer Betrachtung keineswegs überzeugende Vermutung. Tatsache ist hingegen, dass die „Zauberformel“ die Bundesratsparteien radikalisiert, weil sie sich weder vor den Wahlen um Wechselwählerinnen und Wechselwähler in der Mitte noch nach den Wahlen um die Bildung einer Regierungsmehrheit bemühen müssen. So sind sie zugleich frei und gezwungen, ihre Interessengruppen und Flügel zu bedienen.