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Plötzlich setzt Putin auf Beschwichtigung – aus offensichtlichen Gründen

Putin selbst und sein Umfeld machten klar, dass sie Russland auf das Territorium der Sowjetunion ausdehnen wollen. Sie drohten Polen und dem Baltikum. Dmitri Medwedew proklamierte gar ein "Eurasien" von Portugal bis Sibirien. Die Entwicklung im demokratischen Europa und in den USA bewogen nun Putin, zu beschwichtigen - in einem Interview mit dem Trumpisten Tucker-Carlson.

Aus dem Bericht der “Frankfurter Rundschau” (Link):

“Putin hat darin einen russischen Angriff auf Polen oder Lettland ausgeschlossen – und eine Niederlage im Krieg gegen die Ukraine als „unmöglich“ bezeichnet. „Wir haben kein Interesse an Polen, Lettland oder irgendwo sonst“, sagte Putin im Interview: „Warum sollten wir das tun? Wir haben ganz einfach kein Interesse daran.“ Ein russischer Angriff auf die Länder sei „absolut ausgeschlossen“.

Der frühere Fox-News-Moderator hatte den russischen Präsidenten zuvor gefragt, ob es ein Szenario geben könnte, in dem „Sie russische Soldaten nach Polen schicken“. Putin antwortet: „Nur in einem Fall: Wenn Polen Russland angreift.“”

*

Ein Diktator kann nach innen jederzeit seine Botschaften ändern, weil ihn niemand auf Widersprüche hinweisen oder ihn gar der Lüge überführen wird. Es gibt ja keinen freien Journalismus und keine Opposition. Putin scheint anzunehmen, dass dies auch in der Kommunikation nach aussen möglich sei. Zu diesem Irrtum mag beigetragen haben, dass er es mit einem Journalisten zu tun hatte, von dem er Wohlwollen erwarten konnte.

Putin hat allerdings gute Gründe für einen Beschwichtigungsversuch: Die bevorstehenden Wahlen in den USA und im demokratischen Europa. Er unterstützt dadurch Trump und die europäischen Rechtsextremen, und er kann die wachsenden sozialen Spannungen, die die Widerstände gegen die Steigerung der Militärausgaben stärken, besser nutzen.

Trump hat immer wieder angekündigt, mit Putin in kürzester Zeit den Ukrainekrieg zu beenden – was nur möglich ist, wenn die Ukraine nicht zu den Verhandlungen beigezogen, sondern über sie fremdbestimmt wird. Und Trump will das demokratische Europa militärisch sich selbst überlassen. Die europäischen Rechtsextremen sind Putin zu grossen Teilen freundlich gesinnt, auch wegen ideellen Übereinstimmungen. Und sie bedrohen die Europäische Union als Grundlage des Zusammenhalts des demokratischen Europa. Viktor Orban geht voran, und durch Beschwichtigung kann Putin ihn unterstützen.

Putin kann hoffen, dass er in ein paar Jahren einem militärisch, ökonomisch und politisch geschwächten demokratischen Europa gegenübersteht, wenn diese Kräfte wirksam werden. Dann wird er ebenso leicht seine Kommunikation wieder ändern, wieder zu Drohungen und darüber hinaus vielleicht zu Ultimaten übergehen, wie jetzt von den Drohungen zur Beschwichtigung.

Putins Aussage, Russland werde nur russische Soldaten nach Polen schicken, wenn Polen Russland angreife, erinnert beklemmend daran, was Hitler verkündete, als er Polen angriff: “Seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen” (Link).

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Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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