Kann der Verlauf des Ukraine-Kriegs zum Sturz Putins führen – und zur Einsetzung einer neuen Führung, die das Völkerrecht respektiert und zum Aufbau einer internationalen Sicherheitsordnung bereit ist? Das beste, was man dazu sagen kann: Unmöglich ist es nicht. Aber aus zeitgeschichtlicher Sicht ist es unwahrscheinlich.
Putin hat nach dem Ukraine-Krieg zwei Hauptalternativen: Sich mit dessen Ausgang zu begnügen, vielleicht nur vorläufig – oder durchzustarten zu weiteren militärischen Zielen zur Wiederherstellung des Sowjet-Imperiums. In beiden Szenarien ist sein Sturz unwahrscheinlich.
Entschliesst sich Putin zum Angriff auf baltische und/oder ostmitteleuropäische NATO-Staaten, riskiert er einen Atomkrieg und vielleicht einen Weltkrieg. Damit wird seine innere Machtsituation vergleichbar mit derjenigen Hitlers, als er zum Russlandfeldzug antrat: Auf den Weg ging, der schon Napoleon Bonaparte in den Untergang führte. Man mag solches Handeln für wahnsinnig halten, aber die Generäle der deutschen Wehrmacht haben den Wahnsinn mitgemacht – selbst dann noch, als der Misserfolg unverkennbar wurde. Wahrscheinlich hätte nur Heinrich Himmler, der eiskalt rationale und abgründig böse Reichsführer der SS, die Macht gehabt, Hitler zu stürzen. Auch er tat es nicht. Und wenn er es getan hätte – was wäre gewonnen gewesen? Hätte er die bedingungslose Kapitulation vermeiden können, wäre der Welt eine Koexistenz mit einem SS-geführten Deutschland beschieden gewesen, wie nachmals mit Stalin und Mao.
Sowohl Stalin als auch Mao waren im Vollbesitz ihrer Macht, als sie starben. Interessant ist, dass ihre Nachfolger, Deng und Chruschtschow, zwar weiterhin diktatorisch regierten, aber Reformwege einschlugen.
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Siehe hierzu Andreas Rüesch, Redaktor im Ressort International der NZZ:
„Putin ist noch nicht am Ende“ (1.7.23, Link)