Verständlich ist, dass die beiden Kandidaten vor der Wahl Bekenntnisse zur Anti-Europapolitik ihrer Partei abgeben. Sie werben damit um möglichst viele Stimmen aus ihrer eigenen Fraktion. Hansueli Vogt kann bei den andern Fraktionen mit weniger Stimmen rechnen als Rösti.
Vogt stehen zwei Strategien offen:
Erstens, aus der eigenen Fraktion mehr Unterstützung zu gewinnen als Rösti. Erinnern wir uns daran, dass SVP-Parteileitungsmitglied Roger Köppel Albert Rösti als unwählbar bezeichnete und mit Beschimpfungen eindeckte: „Anpasser“, „Interessensöldner“, „Jasager“, „Briefträger der Interessen seiner vielen Geldgeber“ (Link). Zwar ist Köppel mit seiner Kampagne zur Verhinderung der Rösti-Kandidatur in der Fraktion gescheitert, aber das schliesst nicht aus, dass viele Fraktionsmitglieder Vogt vorziehen.
Vogt kann aber zweitens auch versuchen, bei den andern Fraktionen durch zumindest verbale Dialogbereitschaft Widerstände gegen ihn als Promotoren der gescheiterten Volksinitiative „gegen fremde Richter“ und Mitredaktor der soeben lancierten „Neutralitätsinitiative“ abzubauen.
Die Voraussetzungen, unter denen der neue SVP-Bundesrat Europapolitik machen muss, sind in voller Entwicklung und wohl auch in schwer vorhersehbarem Wandel begriffen. Aktuell sind Selbstvertrauen und Widerstandswille gegenüber der EU stark, und die Verärgerung über das Beharren der EU auf ihren Regeln für den Zutritt zu Märkten und Kooperationen wächst. Dies ist auch verbunden mit der Erwartung, dass die EU in den kommenden Jahren immer schwächer wird und die Schweiz sich durch starke Partnerschaften ausserhalb Kontinentaleuropas für Einbussen im EU-Raum schadlos halten kann.
Der neue SVP-Bundesrat kann also darauf hoffen, dass er noch eine Weile davor verschont bleibt, sich mit der Europapolitik seiner Partei auseinandersetzen zu müssen. Aber je nachdem, welche Erfahrungen die Schweiz in den kommenden Jahren mit ihrem selbstbewussten Alleingang und mit ihren alternativen Partnerschaften macht, kann dies ändern.
Siehe auch:
„Das neue SVP-Bundesratsmitglied wirkt an der Neupositionierung der Schweiz in Europa mit“ (Link)
„Das integrierte Europa in der Krise – und die Schweiz?“ (Link)