Politologe Adrian Vatter schlägt Abschluss eines «Konkordanzvertrags» vor

Bisher führte ein bequemer Gedankenweg von der direkten Demokratie via "Zauberformel" zur Freiheit der Bundesratsparteien, auch Oppositionsparteien zu sein. Diese Unverbindlichkeit geht ihnen über Alles: Diese Freiheit, ihre radikalen Flügel und Interessengruppen zu befriedigen. Trotzdem wagt nun Adrian Vatter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Bern, den Vorschlag, vom neugewählten Bundesrat einen "Konkordanzvertrag" zu verlangen.

Aus der Artikel «Als gäbe es keine Krise» von Alan Cassidy in der «NZZ am Sonntag» vom 6. November 2022:

«Das Parlament sollte von der Regierung in neuer Zusammensetzung verlangen, ein schriftliches Bekenntnis zur Erreichung bestimmter Ziele abzugeben – einen ‹Konkordanzvertrag› abzuschliessen, wie es Vatter nennt. Es gehe dabei nicht um ein Regierungsprogramm, wie es zum Beispiel in Deutschland üblich ist, sagt Vatter. ‹Sondern um eine Absichtserklärung, mit der sich die Regierung auf die wichtigsten Reformprojekte einigt.'»

«Vielleicht würde ein solches Bekenntnis auch zur Klärung der wichtigsten Frage der nationalen Politik beitragen», fügt Cassidy bei: «Wie sichert die Schweiz künftig die Beziehung mit der EU? Es ist ja nicht so, dass alleine die SVP für die anhaltende Blockade verantwortlich ist. Um das zu ändern, muss ein Ruck durch den Bundesrat gehen. Wann, wenn nicht jetzt?»

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Der «Konkordanzvertrag» würde also erst nach der Gesamterneuerungswahl und nur unter den Mitgliedern des Bundesrates abgeschlossen. Er würde den Bundesratsparteien die Unverbindlichkeit ihrer Regierungszugehörigkeit, ihre Freiheit zur Opposition, die ihnen bisher sakrosankt ist, nicht antasten. Wahrscheinlich würden sie sich trotzdem in die Verhandlung unter den Bundesrätinnen und Bundesräten über den «Konkordanzvertrag» einmischen, auf ihre Regierungsmitglieder Druck ausüben – ihnen wohl schon vor der Bundesratswahl, in den Hearings, Zusagen abverlangen.

Trotzdem könnte der «Konkordanzvertrag» das schweizerische Regierungssystem weiterbringen. Das Spiel der Doppelrolle Regierung und Opposition würde im Licht des «Konkordanzvertrags» noch etwas krasser ins Auge fallen – wer weiss, vielleicht doch mit Auswirkungen auf die nächstfolgende Bundesratswahl.

Wie würde es sich auf die Europapolitik auswirken, wenn nach der Gesamterneuerungswahl 2023 ein «Konkordanzvertrag» abgeschlossen würde? Wahrscheinlich eher verhärtend: Es ist nicht anzunehmen, dass SVP und SP ihren Regierungsmitgliedern gestatten würden, ein klares Vertragsziel des vollen Zugang der Schweiz zu den Märkten und Kooperationen der EU zu akzeptieren. Wie es heute aussieht, kann die Europapolitik nur durch eine Volksinitiative deblockiert werden, und dafür braucht es mehrere Erfahrungsjahre mit der Erosion des Bilateralismus (siehe «Erosionsmonitor» von Avenir Suisse).

Prognose: Die Parteien geben dem «Konkordanzvertrag» trotz der sehr beschränkten Wirkung, die er wohl hätte, keine Chance. Leider.

 

Vielen Dank fürs Lesen.

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