«Zauberformel»: Die Realität entfernt sich immer stärker von der Idee.

"Zur Haltung der vier Gesundheitsdirektoren sagt Thomas Aeschi: «Sie sprechen nicht als SVP-Vertreter, sondern als Mitglieder einer Kollegialbehörde.» Dasselbe gelte auch für die beiden SVP-Bundesräte." (Tages-Anzeiger, 21.8.21).

Die SVP hat ein Problem mit ihren Regierungsmitgliedern – wieder einmal, und vielleicht mehr denn je. Sie will möglichst viele Gegnerinnen und Gegner der Anti-Corona-Massnahmen zu Wählerinnen und Wählern, besser noch zu Mitgliedern machen. Bei dieser Strategie ist höchst unwillkommen, dass sich Vertreterinnen und Vertreter der SVP, die Regierungen angehören, hinter die Corona-Massnahmen stellen. Einige von ihnen haben sie sogar als Gesundheitsdirektorin, Gesundheitsdirektor massgeblich mitgeprägt.

Die Hardliner, Blochers Zöglinge, die jetzt die Partei führen, versuchen, schlauer zu sein als ihre Vorgänger, die Samuel Schmid als «halben Bundesrat» beschimpften und Eveline Widmer-Schlumpf samt ihrer Bündner Kantonalpartei aus der SVP warfen. Sie überlassen der Basis den Entscheid, was sie glauben will: Sagt unser Regierungsmitglied wirklich SEINE  Meinung – oder nur die, die ihm die Regierungsmehrheit aufgezwungen hat? Nun stellt sich für diese Regierungsmitglieder die Frage, ob sie klarstellen, es sei IHRE – und falls sie dies klarstellen: Ob ihnen die Basis glaubt, oder ob sie auch die Klarstellung als aufgezwungen abtut.

Man wird sehen, wie sich die Stellung und Haltung der SVP-Regierungsmitglieder innerhalb und gegenüber ihrer Partei entwickelt.

Wichtiger ist wohl, sich zurückzubesinnen, in welcher Absicht das Prinzip eingeführt wurde, dass den Parteien die Bundesratssitze sachpolitisch bedingungslos zugeteilt werden, mehr oder weniger konsequent aufgrund ihrer Stimmenanteile in den Wahlen. Die Absicht war, eine Regierungspolitik zu ermöglichen, die nicht systematisch durch eine grosse Partei mit Referenden und Initiativen torpediert würde. Die mächtigsten Kräfte sollten «eingebunden» werden.

Nach 1968 und erst recht nach Christoph Blochers Machtübernahme in der SVP wurde links und rechts die Einbindung zur Illusion. Die «Zauberformel» erzielt längst die gegenteilige Wirkung als die ihr zugedachte: Sie gibt den Parteien volle Freiheit, ihre radikalen Flügel und Interessengruppen zu bedienen. Es gibt in der Schweiz schlicht keine Regierungsverantwortung der angeblichen Regierungsparteien. So fördert die «Zauberformel» Radikalisierung, Kompromisslosigkeit, Blockaden.

Es sieht aber nicht danach aus, dass ein Übergang zu einer minimalen Verbindlichkeit möglich wäre. Den Parteiführungen ist es viel zu wohl bei der Unverbindlichkeit. Zwar diskutiert man jetzt ernsthaft und zurecht, ob die SVP noch in den Bundesrat gehöre. Aber dass sich FDP und Mittepartei mit RotGrün und den Grünliberalen auf eine Regierungspolitik ohne SVP einigen könnten, ist aus heutiger Sicht unwahrscheinlich. Eher koaliert die deutsche FDP mit den Grünen…

Solange dies so ist, wird sich die SVP weiter radikalisieren können – trotz zwei Bundesräten.

 

 

 

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