Gute Gerichtsberichterstattung – Gegengift gegen Populismus

"Welche Medienaufmerksamkeit braucht die Strafjustiz?" Dieser Frage ging ein Podiumsgespräch nach, das das Obwaldner Institut für Justizforschung (IJF) und die "Republik" am 25. April 2024 an der Universität Luzern durchführten.

Die Voraussetzungen für breit angelegte, kompetente Information der Öffentlichkeit über die Strafrechtssprechung verschlechtern sich sowohl auf der Justiz- als auch auf der Medienseite. Dies wurde durch dieses Podiumsgespräch so klar wie bedenklich herausgearbeitet. Seitens der Strafjustiz nahmen die Aargauer Staatsanwältin Elisabeth Strebel und der Luzerner Kriminalrichter Jonas Achermann, seitens der Medien Brigitte Hürlimann, Gerichtsberichterstatterin der «Republik», seitens der Wissenschaft Felix Bommer, Professor für Strafrecht an der Universität Zürich, und, als Moderator fungierend, Michele Luminati, Professor für Rechtsgeschichte und Rechtsphilosophie an der Universität sowie geschäftsführender Direktor des IJF, teil.

Markus Schärli, Gerichtsreporter der «Republik», eröffnete den gut besuchten Anlass mit Fallbeispielen, die ihn zum Schluss führten: «Das Öffentlichkeitsprinzip ist ausgehebelt worden.»

Seitens der Justiz haben sich die Voraussetzungen verschlechtert, weil heute rund 90 Prozent der Straffälle nicht mehr durch ein Gerichtsurteil, sondern durch Strafbefehl entschieden werden, und die Medien nur sehr mühsam, wenn überhaupt, Zugang zu den Strafbefehlen bekommen. Soweit noch Gerichte urteilen, führen sie oft abgekürzte Verfahren durch, ohne mündliche Urteilseröffnung, die der Journalistin oder dem Journalisten Verständnis des Urteils und eine Meinungsbildung ermöglichen würde. Nach Darstellung der Justizseite sind diese Entwicklungen irreversibel, weil die personellen Kapazitäten fehlten, die nötig wären, um wieder mehr Fälle vor Gericht zu bringen und mehr Urteile mündlich zu eröffnen. In der Diskussion bekräftigte Thomas Hasler, Gerichtsreporter des Tages-Anzeigers, die hohen Hindernisse, die die Gerichtsberichterstattung zu überwinden hat.

Seitens der Medien ist festzustellen, dass sich nur noch wenige eine kompetente Gerichtsberichterstattung leisten. Andere schicken unqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Prozesse, die nur über das Resultat des Prozesses, nicht aber über die Urteilsbegründung berichten können.

Marianne Heer, ehemalige Kantonsrichterin und Lehrbeauftragte an den Universitäten Bern und Fribourg, forderte in ihrem Schlusswort, die öffentliche Kommunikation der Gerichte dürfe nicht an Ressourcen- und Organisationsfragen scheitern. Nötig sei gegenseitiges Vertrauen zwischen Justizorganen und Medienschaffenden. Richterinnen und Richter müssten im Umgang mit Medien geschult werden, und für eine angemessene Ausbildung der Medienschaffenden stünden die Medienhäuser in der Verantwortung. Schliesslich gehe es darum, in der Bevölkerung Verständnis für die Rechtsprechung zu schaffen.

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Gute Gerichtsberichterstattung wäre ein Gegengift gegen populistische Agitation. Wichtige, aber in der Bevölkerung nicht selbstverständlich akzeptierte Entwicklungen der Rechtsprechung müssen verständlich gemacht werden. Mit der Verbreitung spektakulärer Prozessresultate ist es nicht getan. Beispiele wie die Praxis zur Härtefallklausel oder zu Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention zeigen, wie anspruchsvoll diese Aufgabe ist. Aber wenn sie nicht erfüllt wird, geraten Errungenschaften der Grundrechtsgelltung und der Rechtsstaatlichkeit in Gefahr.

Link zum Obwaldner Institut für Justizforschung.

 

Vielen Dank fürs Lesen.

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