Schweiz-EU: Der Fall «Stahl Gerlafingen» zeigt, dass ein Schiedsgericht nützlich ist

Die Verhandlungsmandate des Bundesrates und der EU-Kommission sehen für die Streitbeilegung einen Rechtsweg mit einem Schiedsgericht vor. Das Freihandelsabkommen von 1972 zwischen der Schweiz und der EU kennt dies nicht. Ein Rechtsweg mit Schiedsgericht hätte den Niedergang von "Stahl Gerlafingen" verhindern können.

Nach dieser Erfahrung wird es der Gegnerschaft des aktuellen Verhandlungsmandats sehr schwer fallen, den Nutzen der vorgesehenen rechtlichen Streitbeilegung mit Schiedsgericht zu bestreiten. Sie werden weiterhin behaupten, das vorgesehene Schiedsgericht sei ein «Feigenblatt», da die Auslegung von EU-Recht durch den EU-Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg für jeden Streitfall entscheidend sein werde, und sie werden die EU als Vertragspartnerin zu diskreditieren versuchen, auch und gerade mit dem Fall Gerlafingen. Die Bundesbehörden und die Befürworterinnen und Befürworter einer vertraglichen Stabilisierung des möglichst hindernisfreien Zugangs zu Märkten und Kooperationen werden darlegen, dass das Schiedsgericht eine relevante Urteilsinstanz sein wird, auch wenn sie sich an die Auslegung von EU-Recht durch den EuGH hält.*

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Es waren Gegner neuer bilateraler Verträge zwischen der Schweiz und der EU, die zuerst darauf aufmerksam machten. «Pro Schweiz» verbreitete bei X (vormals Twitter) einen Artikel der digitalen Plattform J: «EU bricht Freihandelsabkommen von 1972 mit der Schweiz» (Link). Darin steht: «»Ein Schiedsgericht ist nicht vorgesehen.»

Mehr dazu nun in der NZZ vom 4.4.24 (Link): Unter dem Titel «Stahlzwist erinnert an den gescheiterten Rahmenvertrag» schreibt Redaktor Tobias Gafafer:

«Die Stahl Gerlafingen macht die EU für ihre Probleme verantwortlich – doch Bern hat es sich selber zuzuschreiben, dass es keine Streitbeilegung gibt. (…)

Das Unternehmen Stahl Gerlafingen steckt in grossen finanziellen Schwierigkeiten. (…) Die Schuld für ihre Probleme gibt sie der Europäischen Union. Man sehe sich faktisch mit einem Importverbot der EU konfrontiert, heisst es in einer Mitteilung, die die PR-Agentur Furrer-Hugi vor kurzem versandt hat. (…) Die EU hat im Jahr 2018 Zölle und weitere Massnahmen gegen Importe von Stahlprodukten erlassen, um ihre Industrie zu schützen. Sie reagierte damit auf die Zölle für Importe von Stahl und Aluminium, die die USA im Handelsstreit mit China noch unter Donald Trump eingeführt hatten.

Die Schweiz hat wiederholt bei der EU und ihren Mitgliedstaaten gegen die Schutzmassnahmen protestiert und eine Ausnahme verlangt. von Stahlerzeugnissen aus der EU in die Schweiz gebe es dagegen keine Einschränkungen. (…)

Das FHA ist die Basis der Handelsbeziehungen zur EU. Es gilt als veraltet, da es aus dem Jahr 1972 stammt. Bei Differenzen sieht es vor, dass die beiden Parteien im Gemischten Ausschuss, einem diplomatisch-technischen Gremium, Konsultationen durchführen. Ein verbindlicher Streitbeilegungsmechanismus, etwa mit einem Schiedsgericht, sei jedoch nicht vorgesehen, sagt Fabian Maienfisch. Einigen sich die beiden Seiten nicht, bleibt der Streit jahrelang ungelöst – selbst wenn die EU gegen den Vertrag verstösst.

Moderne Freihandelsabkommen, wie sie die EU und Grossbritannien nach dem Brexit abgeschlossen haben, sehen für Streitfälle ein Schiedsgericht vor. Auch jüngere Freihandelsabkommen, die die Schweiz abgeschlossen hat, umfassen ein Schiedsverfahren, etwa jenes mit Indonesien von 2021. Das FHA mit der EU zu modernisieren, stand vor einigen Jahren beim gescheiterten Rahmenvertrag zur Diskussion. In einer gemeinsamen Erklärung wollten sich die zwei Parteien dazu verpflichten, über eine Aufdatierung zu verhandeln. Zudem hätten beide Seiten schon vorher das Schiedsgericht anrufen können, das mit dem Rahmenvertrag geschaffen werden sollte – allerdings nur in gegenseitigem Einverständnis.»

Es lohnt sich, den ganzen Bericht zu lesen.

*  Siehe hierzu dieses Interview von «Unser Recht» mit Prof. Matthias Oesch: «Bilaterale Verträge: Zuständigkeit des EuGH für die Auslegung von EU-Recht» (Link).

 

 

 

Vielen Dank fürs Lesen.

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