Um es schweizerdeutsch zu sagen: Die „Blagööri“, die „Polderi“, die „Blöffsäck“ haben Hochkonjunktur – auch weil sie Lieblinge der Boulevardmedien und deren Leserschaft sind. Wohl denken wir bei dieser Feststellung zuerst an Trump. Seine Tweets sind voller Drohungen und voreiligen Erfolgsmeldungen. Aber was erreicht er – zum Beispiel gegenüber Nordkorea? Dämmt er den wachsenden Einfluss der von Putin und Xi strategisch kühl und wohlüberlegt geführten Rivalenstaaten Russland und China ein?
Bundesrat Ueli Maurer stellt im Rückblick auf sein Präsidialjahr die Schwäche der EU der Stärke der Schweiz gegenüber. „Le Temps“: „Ueli Maurer décrit ‚une Suisse en pleine santé et une UE qui se délite‘. (…) La Suisse tient la forme, tandis que l’Union européenne perd en influence.“ (Link zum Artikel.)
Die Botschaft nach innen: Wir können uns gegenüber der EU Vieles, vielleicht Alles leisten. Meine Partei, die SVP hat dies verstanden, wenn sie die Kündigung des Freizügigkeitsabkommens initiiert. Und sie hat recht, wenn sie Fundamentalopposition gegen ein Rahmenabkommen macht.
Die Botschaft an die EU: Wir wissen, wie schwach ihr seid – gebt doch eure chancenlose Auseinandersetzung mit uns auf!
Beide Annahmen sind fragwürdig.
Die Schweiz ist durchaus gefordert, ihre „pleine santé“ zu beweisen: Schafft sie endlich eine Rentenreform? Schafft sie eine mehrheitsfähige Gesundheitspolitik? Schafft sie eine mehrheitsfähige Klimapolitik? Schafft sie eine Erneuerung ihrer Luftwaffe als Voraussetzung, die militärische Neutralität glaubwürdig weiterzuführen? Um nur diese Beispiele zu nennen.
Und die EU? Steht denn schon fest, dass der Brexit keine Konsolidierung eines Kerneuropa herbeiführt? Steht denn schon fest, dass Salvini, Orban, Kaczynski und Konsorten die EU sprengen werden? Und selbst wenn: Was wären die Spaltprodukte? Würde die Schweiz mit ihnen besser fahren?
Wie werden provokante Sprüche die Haltung der Verantwortlichen in der EU gegenüber der Schweiz beeinflussen? Selbstachtung ist wohl kaum nur eine schweizerische Eigenschaft.
„Speak softly and carry a big stick; you will go far.“ Diese Devise wäre auch auf die schweizerische Europapolitik anzuwenden. Sorgen wir für einen grossen Stock: Packen wir die durch Parteipolitik blockierte Lösung unserer grossen Probleme an. Und begegnen wir der EU derweil mit Festigkeit, aber Respekt und gutem Willen – auch weil wir an ihrer Schwäche, an ihrem Zerfall, an einem Wiedererstarken von Nationalstaaten, die auch uns gegenüber nur ihre eigenen Interessen verfolgen würden, gar nicht interessiert sind.
Interessiert ist die Schweiz an einer guten, geregelten, kooperativen Beziehung zu einer starken EU.
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Siehe auch Club Helvétique: „Bilanz Bundespräsident Maurer: sehr unbefriedigend.“ http://clubhelvetique.ch/wp-content/uploads/2019/12/Medienmitteilung-Maurer-dt-CH.pdf