Natürlich tragen die federführenden und antragstellenden Bundesrätinnen und Bundesräte eine erhöhte Verantwortung. Für die Art, wie sie diese ausüben, ist individuelle Kritik berechtigt und notwendig. Das Verhandlungsgeheimnis des Bundesrates kann sie erschweren, aber dieses ist auch nicht mehr, was es war – die Maulwürfe sind rege tätig.
Wohin führt es, wenn das Bewusstsein um die abschliessende Gesamtverantwortung des Kollegiums durch den Parteienkampf verdrängt wird?
Es gehörte bisher zum Sonderfall Schweiz, dass sich die Bundesratsparteien auf keinerlei gemeinsamen Ziele und Politiken verpflichten müssen, und dass die Regierung kein Präsidium mit einer erhöhten Verantwortung für die Regierungspolitik und der Kompetenz hat, dieser gerecht zu werden. Die Regierungsparteien geniessen diese Unverbindlichkeit, und auch eine Partei, die in die Regierung drängt, möchte nicht darauf verzichten, sich weiterhin auch als Oppositionspartei zu profilieren.
Aber wer Bundesrätin oder Bundesrat werden will, erhebt den Anspruch, nicht nur ein Departement zu leiten, sondern als Mitglied des Regierungskollegiums mit gleichem Recht und gleicher Verantwortung die Regierungspolitik mitzubestimmen. Sie oder er kann, will und soll dies tun: Vor den Bundesratssitzungen durch Mitberichte, in den Bundesratssitzungen durch Anträge und Stimmabgabe. Wenn sein Departement nicht über genügend Fachkompetenz für andere Departementsgeschäfte verfügt, kann sie oder er sich den Mitbericht durch den Stab seiner Partei, durch einen nahestehenden Wirtschaftsverband, eine Gewerkschaft oder eine NGO vorbereiten lassen. Diese melden sich ja regelmässig auch von selbst.
Ist es das Kollegialprinzip, das niedergeht, oder nur der Respekt der Parteipropagandisten und anderer Polemiker vor der Gesamtverantwortung der Bundesrätinnen und Bundesräte, und damit vor der Mitverantwortung der Regierungsmitglieder, die den Angreifern nahestehen?
Die weitere Entwicklung kann sich auf die Regierungsbildung auswirken. Wenn Regierungsmitglieder nur noch Watschenmänner, Watschenfrauen für Teile der Regierungspolitik sind, kann eine dadurch besonders betroffene Partei einer solchen Regierungsbeteiligung überdrüssig werden. Sie kann versucht sein, im „Jungbrunnen“ der Opposition zu erstarken, in der Hoffnung, ein paar Jahre später mit grösserem Einfluss in die Regierung zurückzukehren. Und bei Basis und Kadern einer Partei, die Mitglieder des Bundesrates immer heftiger unter Missachtung des Kollegialprinzips angreift, kann die Forderung hochkommen, deren Partei aus der Regierung zu werfen. Beide Versuchungen sind bereits wahrnehmbar.