Was spricht eigentlich für Verjährung schwerster Straftaten?

Das Instrument der Initiative kann die Gesellschaft jederzeit zwingen, althergebrachte Regeln, die nur noch vermeintlich selbstverständlich waren, neu zu überdenken, zu prüfen, wenn möglich zu rechtfertigen - oder eben abzuschaffen. Jetzt gerade ist die Reihe an der Verjährung, speziell für Taten, die das Strafgesetz mit lebenslangen Strafen bedroht. Anlass ist für einmal nicht eine Volks-, sondern eine Standesinitiative.

Die SVP bekam im Kantonsrat des Kantons St. Gallen eine Mehrheit für eine Standesinitiative zur Abschaffung der Verjährung für Taten, die mit lebenslangen Strafen zu ahnden sind.

Die Verjährung wurde nicht durch die Nachkriegsgeneration oder gar durch die «Achtundsechziger» eingeführt. Sie ist eine viel ältere Norm. Es wäre jetzt gut, wenn die Wissenschaft der Rechtsgeschichte aufzeigen würde, wann und aus welchen Gründen die Verjährung eingeführt wurde.

Aber weshalb denn Verjährung?

Eine Begründungsgrundlage ist die Vergebungslehre des Christentums, anderer Religionen, aber auch säkularer Philosophien. Sie gesteht jedem Menschen eine Chance und auch ein Recht zu Wandel, Besserung, Läuterung zu. Ist das noch mehrheitsfähig? Wir werden es erfahren.

Eine andere geht vom Willen aus, Fehlurteile, Justizirrtümer, die Bestrafung Unschuldiger, möglichst zu vermeiden. Je weiter eine Tat zurückliegt, desto schwieriger werden sowohl Nachweis als auch Verteidigung, sowohl durch Zeugenaussagen als auch mittels Indizien. Wer die Verjährung abschaffen will, argumentiert, dass durch DNA-Analysen jetzt Fehlurteile weitgehend ausgeschlossen werden könnten.

Aus der Begründung des Kantons St. Gallen:

«Mit der Entwicklung von DNA-Analysen stehen den Ermittlungs- und Fahndungsbehörden technische Möglichkeiten zur Aufklärung von Straftaten zur Verfügung, die teilweise zu spektakulären Fahndungserfolgen geführt haben. DNA-Auswertungen können demnach auch lange nach der Straftat Beweise erbringen, die den Täter überführen können. Ausserdem kann aufgrund der Entwicklung von neuen forensischen Methoden und Instrumenten damit gerechnet werden, dass dank dieser Hilfsmittel vermehrt auch lange zurückliegende Taten aufgeklärt werden können, was allerdings durch die heute geltende Verjährungsfrist behindert werden könnte. Dementsprechend sollte das Strafgesetzbuch an die zeitgemässen Gegebenheiten angepasst werden, was nicht zuletzt auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz stärken würde.»

«Das Problem ist, dass die DNA noch keine Täterschaft beweist», sagt der emeritierte Strafrechtsprofessor Martin Killias gegenüber dem Tages-Anzeiger (17.9.19, S. 3) und legt dies an einem Fall dar, in dem ein junger Mann fast ein Jahr in Untersuchungshaft war, bis die DNA-Spur, die ihn zunächst scheinbar überführte, anders erklärt wurde.

Wie wird es noch ins Gewicht fallen, dass die Gefahr von Justizirrtümern steigt, je weiter eine Tat zurückliegt? Wird dieses Argument vom Tisch gewischt werden durch einen Trend zu mehr Härte?

Vielen Dank fürs Lesen.

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