Gerichtliche Abwehr journalistischer Recherche kann zum Eigentor werden

Der Nationalrat steht vor dem Entscheid, ob es erleichtert werden soll, die Publikation journalistischer Recherchen durch Gerichtsverfügung zu stoppen. Der Ständerat hat bereits zugestimmt. Solches Vorgehen kann aber den Ruf noch zusätzlich schädigen.

Nehmen wir an, ein Recherche-Netzwerk hat herausgefunden, dass eine Firma systematisch zu Lasten ihrer Kundinnen und Kunden oder der Angestellten oder der Umwelt rechtliche oder ethische Regeln gebrochen hat. Nehmen wir weiter an, es gelinge der Firma dank erleichterndem neuem Recht, die Publikation dieser Recherchen provisorisch zu verbieten. Damit hat sie sich zum Problem ihres umstrittenen Verhaltens ein zusätzliches aufgeladen: Den Vorwurf des Versuchs, dieses zu verheimlichen.

Die Erleichterung gerichtlicher Publikationsverbote fördert schlechte Kommunikationsstrategie. Eine Firma, Organisation oder Einzelperson kann in die Lage kommen, dass ihr Verhalten zu Recherchen, Untersuchungen und Verfahren Anlass gibt – zu Recht oder zu Unrecht. Es zeigt sich immer wieder, dass man mit einer offenen Kommunikationsstrategie am besten fährt: Glaubwürdig zu bekunden, dass man bereit ist, dem öffentlichen Interesse an einer Abklärung entgegenzukommen. Stellt sich heraus, dass der Vorwurf in der Sache berechtigt war, bleibt wenigstens der Vorwurf der Verheimlichung aus.

Dass die Möglichkeiten, sich durch gerichtliche Verbote vor ungewünschter Publizität zu schützen – und damit vielleicht einen Fehler zu begehen – schon heute gross sind, legt NZZ-Redaktor Daniel Gerny in einem 5am 10.5.22 erschienenen Kommentar dar: Link.

Vielen Dank fürs Lesen.

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