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Die „Zauberformel“ – valabler Grund für Stimmabstinenz?

Mit Professor Markus Freitag sieht ein weiterer Schweizer Politologe die "Zauberformel" als valablen Grund, nicht zu wählen. Das Gegenteil trifft zu: Die Auswirkungen der "Zauberformel" steigern die Bedeutung des Parlaments.

In einer launigen Kolumne unter dem Titel „Bin ich Teil der schweigenden Mehrheit?“ schreibt Freitag im Tages-Anzeiger vom 20.10.23, die Wahlen in den den National- und Ständerat blieben „ohne direkte Konsequenzen für die Regierungsbildung: Ungeachtet der Wahlergebnisse wird der Bundesrat nach der altehrwürdigen Zauberformel bestellt. Dieses enge Korsett der historischen Absprache lässt seit Jahrzehnten nur sporadisch ergebnisgetriebene Quantensprünge in der Regierungszusammensetzung zu. All dies hat sich mittlerweile längst über die Parteigrenzen hinweg bei Krethi und Plethi herumgesprochen und dort für eine entsprechende Wahlmüdigkeit gesorgt.“

Dass die „Zauberformel“ zur Wahlabstinenz beiträgt, mag sein. Umso mehr ist geboten, vor Augen zu führen, dass sie vielmehr ein Grund FÜR Wahlbeteiligung ist.

Kern der „Zauberformel“ ist das Prinzip der sachpolitisch unverbindlichen Ansprüche auf Regierungsbeteiligung. Die Regierungsmandate werden „arithmetisch“ verteilt: Je zwei an die drei Parteien mit den besten Wahlergebnissen, eines an die viertplatzierte.

Dieses System war einst eingeführt worden, um die Regierungspolitik vor Referenden und Volksinitiativen grosser Parteien zu schützen. Inzwischen hat sich die Wirkung ins Gegenteil gekehrt: Die Parteien sind frei, ihre Flügel und Interessengruppen gewähren zu lassen. Da sie sich weder um Mehrheits- noch um Koalitionsfähigkeit kümmern müssen, werden sie von Regierungsparteien immer mehr zu Oppositionsparteien.

In der Folge wird die Regierungspolitik immer schwächer. Die Weigerung, über das Rahmenabkommen mit der Europäischen Union abstimmen zu lassen, zeigt die Angst, die der Bundesrat heute vor seinen eigenen Parteien und den mit ihnen verbundenen Gruppen hat. Das Parlament muss sich deshalb um Einfluss auf die Europapolitik bemühen. Wie wird es dies tun in der künftigen Zusammensetzung?

Ja, es ist ein Nachteil, dass die „Zauberformel“ den Einfluss der Wahlen auf die Zusammensetzung der Regierung vermindert. Christoph Blocher aber versteht das Funktionieren der „Zauberformel“-Demokratie. Er hat uns mitgeteilt, sein Wahlziel sei ein Zuwachs der SVP, der den andern Parteien ANGST mache (Link zu „Blocher, der Angstmacher“). Dies allein ist ein Grund, sich an den Wahlen zu beteiligen.

Mehr dazu:

„Setzen wir uns auseinander mit den ‚guten Gründen, nicht wählen zu gehen'“ (Link)

„Grenzen der direkten Demokratie – Bedeutung der Wahlen“ (Link)

Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

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