Sie befinden sich hier:

Die Neutralität dient der Unabhängigkeit, der Sicherheit, dem Zusammenhalt und der Aussenpolitik

Die Neutralität der Schweiz ist kein Selbstzweck. Sie dient der Unabhängigkeit, der Sicherheit, dem Zusammenhalt und der Aussenpolitik der Landes. Da sie kein Selbstzweck ist, wird sie nach Bedarf und nach Lage diesen Zielen untergeordnet, denen sie dient. Im Fall Crypto ist der Betrug an den Käufern der Geräte skandalös. Wahrscheinlich liegt auch eine Verletzung der Neutralität im Nachrichtendienst vor. Diese muss im Kontext anderer, meist stillschweigend geduldeter Durchbrechungen der Neutralität beurteilt werden. "Die «Crypto-Leaks» stören das Selbstbild der neutralen Schweiz, auch wenn die Neutralität noch nie klinisch und absolut gelebt wurde" (Georg Häsler Sansano, NZZ 13.2.20).

Dass die Neutralität dem Zusammenhalt des Landes dient, war und ist vor allem aktuell bei Konflikten relevant, die in der Schweiz zur Parteinahme entlang der Sprach- oder Parteigrenzen führen. Klassischer Fall war der Erste Weltkrieg: Viele Deutschschweizer fühlten sich Deutschland und Österreich-Ungarn verbunden, viele Romands den Mächten der Entente. Die Bedeutung dieses Zwecks der Neutralität ist in den Hintergrund getreten, könnte aber wieder aktuell werden, wenn Nachbarländer durch Nationalisten geführt würden, die alte, überwunden geglaubte Konflikte neu anfachen würden, wie etwa um das Elsass oder um Südtirol.

Der Aussenpolitik dient die Neutralität als günstige Voraussetzung für das Angebot Guter Dienste und die Förderung von Friedensverhandlungen.

Als Instrument der Unabhängigkeit und der Sicherheit des Landes musste und muss die Neutralität immer dann eingeschränkt oder durchbrochen werden, wenn diese Zwecke dies zwingend erfordern. Klassischer Fall ist die Vorbereitung militärischer Zusammenarbeit mit dem Feind einer Macht, von der erwartet werden muss, dass sie die Schweiz angreift. Solche Vorbereitungen können allerdings riskant sein, wie das Beispiel von Akten zeigt, die Zusammenarbeitspläne zwischen der Schweiz und Frankreich dokumentierten und die Hitlers Wehrmacht nach dem Zusammenbruch Frankreichs fand. Wäre Deutschland in jenem Moment an der Besetzung der Schweiz interessiert gewesen, hätte die Neutralitätsverletzung als Vorwand herhalten können.

Aus dem Historischen Lexikon der Schweiz: „(General) Guisan liess mit Wissen des Vorstehers des Militärdepartements, Bundesrat Rudolf Minger, eine allfällige Zusammenarbeit mit der franz. Armee im Falle eines dt. Einmarsches vorbereiten. Das geschah unter rigoroser Geheimhaltung über Verbindungsoffiziere beider Länder. Nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland fanden die Deutschen die Akten der neutralitätspolitisch heiklen Absprachen in Dijon (nicht in La Charité-sur-Loire wie gemeinhin behauptet).“ (Link zum HLS-Artikel „Zweiter Weltkrieg“.)

Die NATO „sucht die Zusammenarbeit mit Partnerländern, um sich gemeinsam für die Sicherheit einzusetzen. Die Schweiz kooperiert im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden und des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrats. Sie kann so ihre aussen- und sicherheitspolitischen Anliegen einbringen.“ (Link zum einschlägigen Dokument unseres Aussenministeriums.)

Die Luftwaffe trainiert zum Teil im Ausland. Generell ist festzustellen, dass High-Tech-Waffensysteme nicht ohne internationale Zusammenarbeit auskommen. Im Falle der Luftwaffe ist zum Beispiel an die satellitengestützte Fernaufklärung zu denken. Diese wäre auch dann nötig, wenn der Auftrag der Luftwaffe auf Luftpolizei eingeschränkt würde.

Die Notwendigkeit solcher Zusammenarbeit ist offenbar derart unverkennbar, dass Russland meines Wissens keinen Druck auf die Schweiz ausübt, darauf zu verzichten.

Die Volksabstimmung über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge kann zu Klärungen unseres heutigen Verständnisses der militärischen Neutralität und ihrer Grenzen führen. Wenn die Schweiz keine zeitgemässe, mit der NATO kooperierende eigene Luftwaffe mehr hat, wird sich die NATO einseitig des schweizerischen Luftraums annehmen. Man kann das wollen oder nicht, und man kann diskutieren, ob dies für den derzeit unwahrscheinlichen Verteidigungsfall hinzunehmen ist oder auch für die Luftpolizei.

Die Untersuchung des Falls Crypto kann zu Klärungen von Notwendigkeit und Grenzen neutralitätswidriger nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit führen.

Link zu Georg Häsler Sansano: „Eine Untersuchung der ‚Crypto-Leaks‘ ohne Scheuklappen ist zwingend“, NZZ 13.2.20.

Bild von Ulrich Gut

Ulrich Gut

Ulrich Gut (1952), Dr. iur., wohnt in Küsnacht ZH. Der ehemalige Chefredaktor und Kommunikationsberater kommentiert auf Online Plattformen politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Er präsidiert Unser Recht und ch-intercultur. 2009-2020 war er Zentralpräsident von Alzheimer Schweiz.

Beitrag teilen

PDF erstellen oder ausdrucken

Schreibe einen Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind markiert *

Kommentar abschicken

Ähnliche Artikel

Ein Dammbruch: NZZ bringt Inserat der AfD

Das Mindeste, was dazu zu sagen ist: Offenbar hält man bei der AfD ein Inserat in der NZZ für lohnend, weil man davon ausgeht, der redaktionelle Kurs, insbesondere der Berliner Redaktion, habe ihr so viele potenzielle AfD-Wählerinnen und -Wähler zugeführt, dass es sich bezahlt mache, Werbemittel in dieser Zeitung einzusetzen.

Weiterlesen »

Volksinitiative gegen F-35: Volksmehr dafür, Ständemehr dagegen – eine beruhigende Aussicht?

Die konservative Schweiz scheint die politische Entwicklung unseres Landes im Griff zu haben. Verfassungsänderungen kommen nur mit einer Mehrheit der Kantone zustande. Daran wird wohl auch die Volksinitiative gegen das amerikanische Kampfflugzeug scheitern. – Ihrer Macht nach dem Überstimmen des Volksmehrs für die Konzernverantwortungsinitiative mehr denn je bewusst, will die konservative Schweiz nun auch das obligatorische Staatsvertragsreferendum (das Staatsvertragsreferendum mit Ständemehr) erweitern und damit ihren Einfluss auf die Aussenpolitik stärken.

Weiterlesen »