Dass die Neutralität dem Zusammenhalt des Landes dient, war und ist vor allem aktuell bei Konflikten relevant, die in der Schweiz zur Parteinahme entlang der Sprach- oder Parteigrenzen führen. Klassischer Fall war der Erste Weltkrieg: Viele Deutschschweizer fühlten sich Deutschland und Österreich-Ungarn verbunden, viele Romands den Mächten der Entente. Die Bedeutung dieses Zwecks der Neutralität ist in den Hintergrund getreten, könnte aber wieder aktuell werden, wenn Nachbarländer durch Nationalisten geführt würden, die alte, überwunden geglaubte Konflikte neu anfachen würden, wie etwa um das Elsass oder um Südtirol.
Der Aussenpolitik dient die Neutralität als günstige Voraussetzung für das Angebot Guter Dienste und die Förderung von Friedensverhandlungen.
Als Instrument der Unabhängigkeit und der Sicherheit des Landes musste und muss die Neutralität immer dann eingeschränkt oder durchbrochen werden, wenn diese Zwecke dies zwingend erfordern. Klassischer Fall ist die Vorbereitung militärischer Zusammenarbeit mit dem Feind einer Macht, von der erwartet werden muss, dass sie die Schweiz angreift. Solche Vorbereitungen können allerdings riskant sein, wie das Beispiel von Akten zeigt, die Zusammenarbeitspläne zwischen der Schweiz und Frankreich dokumentierten und die Hitlers Wehrmacht nach dem Zusammenbruch Frankreichs fand. Wäre Deutschland in jenem Moment an der Besetzung der Schweiz interessiert gewesen, hätte die Neutralitätsverletzung als Vorwand herhalten können.
Aus dem Historischen Lexikon der Schweiz: „(General) Guisan liess mit Wissen des Vorstehers des Militärdepartements, Bundesrat Rudolf Minger, eine allfällige Zusammenarbeit mit der franz. Armee im Falle eines dt. Einmarsches vorbereiten. Das geschah unter rigoroser Geheimhaltung über Verbindungsoffiziere beider Länder. Nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland fanden die Deutschen die Akten der neutralitätspolitisch heiklen Absprachen in Dijon (nicht in La Charité-sur-Loire wie gemeinhin behauptet).“ (Link zum HLS-Artikel „Zweiter Weltkrieg“.)
Die NATO „sucht die Zusammenarbeit mit Partnerländern, um sich gemeinsam für die Sicherheit einzusetzen. Die Schweiz kooperiert im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden und des Euro-Atlantischen Partnerschaftsrats. Sie kann so ihre aussen- und sicherheitspolitischen Anliegen einbringen.“ (Link zum einschlägigen Dokument unseres Aussenministeriums.)
Die Luftwaffe trainiert zum Teil im Ausland. Generell ist festzustellen, dass High-Tech-Waffensysteme nicht ohne internationale Zusammenarbeit auskommen. Im Falle der Luftwaffe ist zum Beispiel an die satellitengestützte Fernaufklärung zu denken. Diese wäre auch dann nötig, wenn der Auftrag der Luftwaffe auf Luftpolizei eingeschränkt würde.
Die Notwendigkeit solcher Zusammenarbeit ist offenbar derart unverkennbar, dass Russland meines Wissens keinen Druck auf die Schweiz ausübt, darauf zu verzichten.
Die Volksabstimmung über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge kann zu Klärungen unseres heutigen Verständnisses der militärischen Neutralität und ihrer Grenzen führen. Wenn die Schweiz keine zeitgemässe, mit der NATO kooperierende eigene Luftwaffe mehr hat, wird sich die NATO einseitig des schweizerischen Luftraums annehmen. Man kann das wollen oder nicht, und man kann diskutieren, ob dies für den derzeit unwahrscheinlichen Verteidigungsfall hinzunehmen ist oder auch für die Luftpolizei.
Die Untersuchung des Falls Crypto kann zu Klärungen von Notwendigkeit und Grenzen neutralitätswidriger nachrichtendienstlicher Zusammenarbeit führen.
Link zu Georg Häsler Sansano: „Eine Untersuchung der ‚Crypto-Leaks‘ ohne Scheuklappen ist zwingend“, NZZ 13.2.20.