Soll man Chefredaktor Arthur Rutishauser gratulieren? Zum zweiten Mal innert weniger Tage kommt die Tages-Anzeiger-Gruppe hinter das Stimmverhalten eines Bundesrats und macht es zum Tageshit, beginnend auf der Frontseite. Zuerst war es Ueli Maurer: Er habe sich von der Haltung der anderen Sechs in der Frage der Wiedereröffnung von Geschäften distanziert. Und jetzt Ignazio Cassis: Auch er allein gegen alle Sechs. (Link zum Bericht vom 23.4.2020.)
Offensichtlich ist, dass Parteien und Verbände und die mit ihnen vernetzten JournalistInnen schon wenige Wochen nach Beginn der ausserordentlichen Lage nur noch nach ihren Interessen handeln. Dass eine Partei einer Regierung angehört, ist für ihr Verhalten irrelevant. Das ist nicht neu. Ein System, das den vier stärksten Parteien die Regierungszugehörigkeit politisch gratis gewährt, macht es möglich. Die aktuelle Krise macht es nur besonders deutlich, und vielleicht werden auch die Konsequenzen schwerer denn je.
Wie wird der Bundesrat in den nächsten Wochen und Monaten geschwächt werden – obwohl die nächsten eidgenössischen Wahlen erst 2023 sind?
Wohin führt das? Der Ersatz der „Zauberformel“ durch eine Regierung mit politisch verantwortlichen Regierungsparteien ist überfällig. Aber das Interesse der bisherigen Regierungsparteien am alten System war bisher übermächtig. Die SP fällte 1983 nach der Nichtwahl ihrer Bundesratskandidatin Lilian Uchtenhagen einen Grundsatzentscheid per Urabstimmung: Bundesratsbeteiligung geht über Alles. Dabei blieb es. Und die SVP setzte nach Blochers Nichtwiederwahl alles daran, wieder zwei Bundesräte zu stellen.